Good things gone bad – Der Nerd-Rant-Blog #1: Gothic 3

Die erste Berührung mit RPGs hatte ich in den frühen 2000er Jahren. Tatsächlich war es meine Mutter, die einen Artikel über das Spiel Gothic 1 des deutschen Entwicklerteam Piranha Bytes gelesen hatte – und so lag es Weihnachten dann unterm Tannenbaum.

Damals kannte ich die Grundprinzipien von RPGs nicht mal – deshalb brauchte es auch vier Anlaufversuche, um die ersten 15 Minuten des Spiels zu überstehen. Jedes Mal starb ich an der gleichen Stelle, bis ich von meinem Vater den Hinweis bekam, dass Spielstände speicherbar sind und der Lebensbalken durch Nahrungsaufnahme regeneriert werden kann.

Die Story des 2001 erschienenen Gothic 1 ist wie folgt: Der namenlose Held, die Rolle, die der Spieler einnimmt, wird als Gefangener ins Minental verbannt, um magisches Erz für den Krieg gegen die Orks zu schürfen. Eine magische Barriere hindert die Gefangenen an der Flucht. So schnell kann der Held sein Schicksal nicht akzeptieren und sucht einen Weg aus dem Minental. Um erstmal überhaupt überleben zu können, muss sich der Held einem der drei selbstorganisierten Lager anschließen, die sich im Minental formiert haben.  

Die Grafik des Spiels ist typisch für die frühen 2000er, gleichzeitig aber auch fortschrittlich: die Map ist 3D, einzelne Elemente, wie Laub von Bäumen und Texturen sind dagegen noch zweidimensional. Die Gesichter, Bewegungen und Extremitäten der Figuren wirken für heutige Standards sehr klobig.

Die Atmosphäre, Story, die Musik, der raue Ton gemischt mit den humorvollen Dialogen haben mich damals in den Bann gezogen. 2002 erschien mit Gothic 2 ein würdiger Nachfolger des ersten Teils.

Der Bruch kam vier Jahre später mit Gothic 3. Plötzlich fühlte sich nichts mehr an diesem Spiel an, wie vorher.

Die Immersion der vorherigen Teile fehlt komplett. Stattdessen wird der namenlose Held unkreativ von einem zum nächsten Ort geschickt, um Quest abzuarbeiten. Eine Verbindung oder Relevanz zur Geschichte existiert nicht mehr. Der Großteil der Aufgaben besteht daraus, von Dorf zu Dorf zu laufen, Orks niederzumetzeln und stumpf Kräuter zu sammeln und Erfahrungspunkte zu farmen. Anstatt sich mühsam seine Fähigkeiten und Ausrüstung erspielen zu müssen, ist der namenlose Held plötzlich in der Lage ein ganzes Dorf auf eigene Faust von Orks zu befreien, ohne dabei zu sterben.

Durch die unverhältnismäßig große Map gibt es keinen Anreiz für den Spieler, zu Orten zurückzukehren. Die Orte sind nicht mehr relevant für die Geschichte, sondern zu Punkten auf der Map verkommen, die abgearbeitet werden. Hieraus ergibt sich das größte Problem von Gothic 3: Das World-building. Die Welt ist nicht mehr auf die Story aufgebaut, sondern es scheint, als sei die Story auf eine zuvor modellierte Welt gesetzt worden.

Die Welt von Gothic 3 ist kein Vergleich zur Intimität der Maps der Vorgänger. Jeder Ort hatte seine eigenen Details und aufgrund der kompakteren Größe gab es mehr zu erkunden, als wie in Gothic 3 durch endlose leere Gebiete zu rennen, die keinen Bezug zur Storyline haben.

Das Kampfsystem des ersten Teils ist eines der ersten in einer offenen 3D-Welt implementierten. Zwar ist die Steuerung sehr altertümlich – keine typische WASD-Steuerung – dafür erfordert das System eine genaue Positionierung im Kampf beim Schlagen mit dem Schwert und ein präzises und zeitlich abgestimmtes Attackieren. Gothic 3 bietet dagegen nur ein endloses Klicken der rechten Mausstaste gegen nicht oder sehr träge reagierende Gegner.

Nicht nur die Spielmechanik von Gothic 3 bricht mit den vorherigen Teilen. Auch die Lore wird ignoriert: Die Charakteristiken von Orks haben sich komplett gewandelt. Sie sprechen keine eigene Sprache mehr, Leben statt in stammeshierarchisch organisierten Zeltlagern plötzlich in Häusern und ihr Glaube an Schamanentum und mysteriöse Götter wurde komplett eliminiert. Orks sind nun vermenschlichte Wesen, die in den gleichen Häusern, wie Menschen wohnen, die gleiche Kleidung tragen, die gleiche Sprache sprechen und die gleiche Organisationsstruktur leben.

Ähnlich verhält es sich mit Drachen, die keine mystischen Wesen mehr sind, die seit hunderten Jahren nicht mehr gesehen worden sind: in Gothic 3 trifft man zufällig auf Drachen in Höhlen mit mittelmäßigem Loot.

Auch die Freunde des namenlosen Helden, die einen seit dem ersten Teil begleiten, verhalten sich anders. Statt eigene Charaktere darzustellen, dienen sie nur noch als Questgeber.

Das sinnlose Hin- und Herlaufen durch die Welt wird durch die nicht-existente Main Story umso deutlicher. Die eigentliche Hauptgeschichte ist mit zwei Stunden Spielzeit abgeschlossen, danach besteht der Rest des Spiels nur noch aus repetitiven Nebenquests. Charaktere zeigen auf stattfindende Handlungen keinerlei Reaktionen und mit Voranschreiten durch die Geschichte werden keine Auswirkungen auf die Spielwelt sichtbar. Das lässt die Welt in Gothic 3 überaus unglaubwürdig erscheinen.

Die komplette Spielwelt fühlt sich zu aufgeblasen und lang an, während die eigentliche Substanz sehr dünn ist. Somit wirkt Gothic 3 wie ein Kontinuitätsfehler, was umso enttäuschender ist, da die ersten beiden Teile der Reihe so herausragend sind.