Good things gone bad – Der Nerd-Rant-Blog #2: 13 Reasons Why S3

Ein paar Monate nach Erscheinen der dritten Staffel 13 Reasons Why, oder Tote Mädchen Lügen Nicht, wie die deutsche Version heißt, habe ich mich schließlich aufgerafft und die 13 Episoden geguckt.

Während sich die erste Staffel strikt am Buch orientiert und aus Sicht des Hauptcharakters Clay Jensen die Umstände um Hannah Bakers Suizid aufarbeitet, lebt die zweite Staffel komplett ohne Buchmaterial. Qualitativ konnte die Fortsetzung schon nicht mit der ersten Staffel mithalten. Zwar wurde versucht, die Geschichte weiterhin mit wechselnden Perspektiven im Gerichtsprozess um Hannah Bakers Tod zu erzählen. Doch aufgrund der vielen erzählerischen Schwächen wird schnell klar, dass 13 Reasons Why ein gutes Beispiel dafür ist, warum manche Geschichten nicht bis ins Letzte weiter ausgeschlachtet werden sollten.

Die dritte Staffel beschäftigt sich mit der zentralen Frage: Wer hat Bryce Walker umgebracht?

Kurzer Einwurf: Bryce Walker, einer der „Antagonisten“ der Serie ist bekannt als Vergewaltiger mehrerer Schülerinnen der Liberty High School.

Wie in den vorhergegangenen Staffeln wird die Geschichte aus mehreren Perspektiven erzählt und dabei zwischen Vergangenheit und Gegenwart gewechselt. Statt die Zeitsprünge durch das Skript zu verdeutlichen, wird sich jedoch an gestalterischen Mitteln bedient. So werden die Gegenwartsszenen entsättigt und in einem anderen Seitenverhältnis präsentiert, um sie von den Vergangenheitsszenen abzuheben.

Ein weiterer Bruch stellt der Wechsel der Erzählperspektive dar. Während die Handlungen bisher aus Sicht Clays erzählt wurden, steht plötzlich eine komplett neue Figur im Mittelpunkt: Ani Achola.

Anis Mutter arbeitet im Hause der Walkers als neue Hilfskraft, nachdem sie aus England in die USA gezogen sind. Und das ist eigentlich auch schon alles, was man über Ani als Person erfährt – abgesehen von ihrer ermüdenden Neugierigkeit und notorischen Lügerei, die sie zum nervigsten Charakter der Serie macht.

Ani ist wohl das größte Problem dieser Staffel. Sie taucht ohne Einführung auf und plötzlich ist sie überall. Sie ist mit allen befreundet, weiß alles und kann alles.

An der Schule, in der sich ansonsten alle skeptisch begegnen, vertraut sich jeder ihr an. Sie wird sofort in Clays Freundeskreis aufgenommen. Clay, der sonst so protektionistisch mit seinen Freunden und deren Geheimnissen umgeht, hat kein Problem damit, einer fremden Person alles zu erzählen. Innerhalb weniger Tage ist Ani mit Clays gesamtem Freundeskreis vertraut und verhält sich, als ob sie seit Jahren auf die gleiche Schule geht. Alles passiert viel zu schnell, ohne dass der Charakter eingeführt wird muss der Zuschauer akzeptieren, dass sie der neue Hauptcharakter ist. Dabei fühlt sie sich eher an, wie aus einem fremden Serienuniversum reingesetzt.

Insgesamt ist ihr kompletter Charakter unglaubwürdig. Es sind nicht nur die Freundschaften, die sie unglaublich schnell schließt. Sie ist talentiert in allem, ist gut in der Schule, verfügt über tiefgehendes Nerdwissen in allen Kategorien, kann als Anfänger besser Poker spielen, als andere. Sie ist an jedem Handlungsort und mischt sich in jedes Gespräch ein. Aus irgendeinem Grund weiß sie über alles Bescheid und handelt nie falsch.

Obwohl so viel Zeit mit Ani verbracht wird, erfährt der Zuschauer im Endeffekt nichts über sie. Der Charakter bleibt eine leere Hülle, die mehr Mittel zum Zweck ist: Es wirkt, als bräuchten die Schreiber der Serie ein Hilfsmittel, um Bryce Walker aus einer anderen Perspektive zu beleuchten.

Mit Ani haben sie wohl den klischeehaftesten Mary Sue Charakter geschaffen, seit Entstehung des Begriffs. Mary Sues, das sind perfekte fiktionale Figuren, die oft eine Verkörperung des Autors sind, der sich als Kunstfigur in die Geschichte schreibt. Als typischer Mary Sue Charakter macht Ani die Geschichte uninteressant, weil sie auch die Charaktere um sich herum unnatürlich macht. Konflikte entstehen aufgrund Anis Perfektion entweder erst gar nicht, oder sie verlaufen unglaubwürdig.

Statt sie als Mittel zur Detektivarbeit um Clays Freundeskreis zu benutzen, hätte mehr Zeit darauf verwendet werden sollen, ihre Charakterzüge auszuarbeiten.

Es gibt zahlreiche andere Gründe, warum Staffel 3 unter einem drastischen Qualitätsabfall leidet, wie unglaubwürdige Handlungen, Motive und die Verarbeitung der Thematik, aber das auszuführen ist wohl einen eigenen Eintrag würdig.