Good things gone bad – Der Nerd-Rant-Blog #3: 13 Reasons Why S3 (Part 2)

Nachdem ich im vorherigen Blogeintrag auf die Probleme und Schwächen, die auf die Einführung von Anis Charakter zurückgehen, werde ich in diesem zweiten Teil das ambivalente Verhältnis der Serie zu ihren Charakteren unter die Lupe nehmen.

Mit der dritten Staffel 13 Reasons Why bricht die Serie mit ihrem alten Konzept des Verbrechen aufklärenden Freundeskreises um Clay Jensen. Stattdessen wird der sein Freundeskreis selber zum Verbrecher und Vertuscher gleichzeitig.

Der ermordete Bryce Walker, in den vorherigen Staffeln eindeutig der Antagonist, bekommt plötzlich seinen Redemption Arc. Der Zuschauer bekommt (in den meisten Fällen aus Sicht von Ani) einen Einblick in sein Leben abseits der Liberty High School. Er versucht für seine Fehler einzustehen, die Beziehung zu seiner Mutter zu verbessern, bietet Tyler seine Hilfe an und fängt an, in Therapiesitzungen zu gehen.

Bryce wird jedoch ermordet, bevor der Zuschauer sich darüber eine Meinung bilden kann, ob sein Charakter je seinen Redemption Arc vollziehen kann.

Die Serie versucht, seinen Charakter zu humanisieren, wobei ich mir als Zuschauer aber immer fragen musste, ab welchem Zeitpunkt ein Charakter nicht mehr zu retten ist.

Ein weiteres Beispiel für das zwiegespaltene Verhältnis der Serie zu ihren Charakteren zeigt sich auch mit der Aufklärung des Mordes am Ende der Staffel.

Jessica engagiert sich während der Staffel für die Opfer von Vergewaltigten und propagiert dafür, dass kein Täter von seinen Freunden beschützt werden sollte. Am Ende der Staffel stellt sich jedoch heraus, dass Jessica die ganze Zeit ihren Freund Alex verteidigt und für ihn gelogen hat, um seinen Mord an Bryce zu vertuschen. Somit wird ihr gesamter Character Arc bedeutungslos – sie hält keine ihrer eigenen Prinzipien ein.

Jetzt könnte argumentiert werden, dass diese Wendung bewusst so geschrieben wurde, ihre offensichtliche Doppelmoral wird jedoch in keiner Weise thematisiert. Stattdessen wird sie und die Handlungen ihrer Freunde als im Recht verkauft.

Ebenfalls wird nicht thematisiert, dass Zach ebenso Mitmörder ist, wie Alex. Er bricht Bryce die Gliedmaßen und lässt ihn im Winter ohne Möglichkeit zur Kommunikation und Fortbewegung am Hafenpier liegen, was den sicheren Tod bedeutet. Als er seine Tat als Mörder gesteht, wird er nach dem „Geständnis“ ohne irgendeine Konsequenz freigelassen, weil Bryce nach aktuellem Ermittlungsstand durch Ertrinken umgekommen sei.

Absurder Weise befindet sich Clay zur gleichen Zeit bereits seit mehreren Tagen in einer Gefängniszelle. Die besten Beweise gegen ihn: seine Fingerabdrücke auf Bryces Auto und ein 1 Jahr altes Überwachungsvideo, dass Clay mit einer Waffe vor Bryces Haus zeigt.

Dieses Überwachungsvideo wurde darüber hinaus auch noch geretconned (retroactive continuity = Ignorieren, Anpassen oder Widersprechen von etablierten Fakten im fiktiven Universum). Die Szene, die Clay vor der Überwachungskamera zeigt, ist in Staffel 2 gar nicht erst eskaliert. Dort hat Clay die Waffe nie auf Bryce gezielt und ihn bedroht. Für Staffel 3 wurde diese Szene jedoch umgeschrieben, wohl um einen bei den Haaren herbeigezogenen „Beweis“ für Clays angebliche Schuld im Mordfall zu haben.

Diese Inkonsequenz im Verhalten der Charaktere, sowie das Retconning (nur eins von vielen Beispielen) machen die Serie unglaubwürdig. Statt in die Ermittlungen einzutauchen, werde ich ständig aus der Story rausgerissen. Es folgt eine irritierende Handlung nach der Nächsten mit unlogischen Konsequenzen und Charakteren, die sich insgesamt vollkommen untypisch verhalten.

Anstatt mit Clay mitzufiebern, stelle ich mir andauernd die Frage, ob irgendjemand in der Autorenriege überhaupt einen blassen Schimmer von Strafprozessen hat.

Wenn am Ende die Flashback-Szenen mit dem verteufelten und ermordeten Antagonisten mehr auszuhalten sind, als jede Szene mit den Protagonisten, ist irgendwas schief gelaufen.