Es regnet in Strömen. Der überdachte Teil vor der Eingangstür ist klein, er genügt vielleicht für drei oder vier Personen. Ich lehne mich gegen die Wand, warte auf erste Geräusche aus dem Innenraum. In der Ferne tauchen zwei Gestalten auf. Der eine mit langen grauen Haaren, die mit seinem Bart verschmelzen und sein sichtlich kleinerer Kollege, stehen beide kurz vor dem Eintritt ins Rentenalter. Wir begrüßen uns per Handschlag. „Mieses Wetter heute, hmm… habt ihr die Gruppe schonmal live gesehen?“, frage ich.
Es dauert noch eine ganze Weile bis sich der Bürgersteig um die Tür herum füllt. Pünktlich um 19 Uhr rumpelt es hinter der dicken Holztür. Das Schild über unseren Köpfen beginnt zu leuchten: „Musiktheater Piano“. Der Chef des Dortmunder Clubs öffnet die Tür und bittet die ihn längst bekannten Gesichter hinein. Auf mein Ticket schaut er mittlerweile nicht mehr, man kennt sich.
Ich gehe vorbei an der Bar, und überhole jeden, der sich noch an der Garderobe aufhält. Wer seine Jacke abgibt, verliert kostbare Sekunden. Der Trick ist, sich eine dünnere Jacke für das Event einzupacken und diese dann drinnen um sich zu binden. Zugegeben, im Piano ist das Publikum nicht mehr so schnell und der Kampf um die erste Reihe ein leichter. Dennoch habe ich mir diese Mechanismen über die Zeit angewöhnt. Früher hätte ich auch nie riskiert, an der Location noch etwas zu trinken. Auch wenn die Kellner hier rumgehen, gibt es immer noch das Problem seinen Platz zu verlassen, um mal aufs Klo zu gehen. Ein Risiko, das nicht einzugehen ist.
Ein Konzert vom bestmöglichen Platz zu sehen, ist für mich wichtig. Nur von vorne kann ich die Handgriffe der Musiker sehen und mir ein komplettes Bild machen. Ein Drumsolo zu hören, ohne die wirbelnden Arme und das verschwitzte Gesicht zu sehen… das wäre grade mal die Hälfte wert. Das Adrenalin der Musiker, der Zauber der Band überträgt sich mühelos auf alle, die so nah am Geschehen sind. Raum und Zeit verlieren sich, wenn die solierende Gitarre sich über das gesamte Blickfeld erstreckt. Immer wieder blicke ich nach links und rechts und jeder hier ist sich einig, Zeuge eines wundervollen Abends zu sein.
Momente wie diese sind es, die Live-Musik ausmachen. Ins Dortmunder Piano zu gehen ist für mich ein besonderes Ritual. Wenn ich die Konzertkarten an meiner Wand zähle, dann sind dort über 30 aus diesem Club. Die Bands die hier spielen sind meist irgendwo zwischen Blues und Rock anzusiedeln aber in letzter Zeit versucht man sich auch an moderneren Stilen. Etwa dreimal die Woche spielen hier Gruppen und nach all meinen Besuchen gab es keinen Abend, der es nicht wert war. Die Bands lieben das alte Theater und seinen hohen gewölbten Raum, der etwa 400 Leute beherbergen kann. Links von der Bühne wacht ein riesiges Portrait von Jimi Hendrix über ihre Machenschaften.
Die Gesichter in den ersten Reihen sind immer die gleichen. Vor den Auftritten werden Anekdoten ausgetauscht, Hoffnungen an den Abend gestellt und die Vorfreude geschürt. Einen Platz halten wir für den Fotografen frei, auch er ist ein alter Bekannter. Alt ist ein gutes Stichwort, denn auch wenn hier mal Newcomer spielen, das Alter des Publikums ist hoch genug, dass ich den Schnitt kaputt mache. Die alten Genres bewegen oft nur die betagteren Menschen aus ihrer Wohnung. Für mich sehr gut, denn sie sind keine Konkurrenz, wenn es um die besten Plätze geht. Trotzdem macht es mir Sorgen, dass es an Nachschub fehlt. Manchmal spielen motivierte Bands vor einer Handvoll alter Männer.
Doch egal, wie der Abend lief: Nachdem die verschwitzte Gruppe durch die Tür verschwunden ist, kommt sie etwas später zurück. Wer Autogramme, Bilder oder das Gespräch suchen möchte, der bekommt diese Chance auch. Diese Möglichkeit bietet sich bei keiner Arena- oder Stadiontour. Nur wer den Abend in der schwitzenden Menge, hautnah am Künstler erlebt hat, kann sie nutzen.
Soviel Spaß es auch macht die berühmtesten Stars mal zu erleben, so sehr bleibe ich dabei, dass ein Clubkonzert am Ende das intimere Erlebnis ist. Wenn ich den Bassisten am Ende noch fragen kann, wie er diesen oder jenen Sound hinbekommen hat und er zur Bühne springt und mir sein Effektpedal vor die Nase hält, dann sind das die markanten Momente des Abends.
Eine Band live zu sehen, verändert auch meine Wahrnehmung der Studioalben. Auf einmal habe ich bei den Liedern das Bild im Kopf, wie der Sänger verschwitzt ins Mikro schreit und im nächsten Moment seinen Gitarristen anfeuert. Die Stücke werden automatisch emotionaler. Der warme, umherschwirrende Klangteppich einer Orgel oder die Bassdrum-Schläge, die ich am kompletten Körper spüre, bleiben mir im Gedächtnis. Zuhause läuft nun also immer noch der gleiche Song aber in meinem Kopf spiegelt sich darin die ganze Geschichte des Konzertabends. So wird gute Musik, noch besser.
Konzerte sorgen für mehr Verbundenheit mit der Musik. Sie machen fremde Künstler zu Freunden und sind für mich wie Urlaub. Selbst das stundenlange Warten vor Beginn gehört einfach dazu. Es ist ein Ritual. Clubs wie das Piano gibt es in jeder Stadt. Auch in Köln sind viele kleinere Veranstalter, die eure Aufmerksamkeit verdienen. Also nutzt eure Möglichkeiten und „Sopport your Locals“! Holt euch Konzertkarten vergünstigt vor Ort, trinkt am Abend dort ein Bier und genießt die Besonderen Momente, die ihr mit Gleichgesinnten dort erleben könnt.