Wie Genetikks Sound im All verblasst – „Nie mehr ModusMio!“

Genetikk melden sich nach einer längeren Pause zum Jahresende mit ihrem mittlerweile achten Studioalbum „OUTTATHISWORLD – RADIO SHOW VOL. 1“ zurück. Hat sich das Warten gelohnt oder handelt es sich um ein eher quantitatives Fabrikat?

Wer ist Genetikk?

Genetikk ist eine deutsche Hip-Hop Gruppierung, die mit ihrem 2010 veröffentlichten Album „Foetus“ erstmals im deutschen Rap/Hip-Hop Raum auftraten. Der Gruppe gehören hauptsächlich der Rapper Karuzo und der Produzent Sikk an. Die aus Saarbrücken stammenden Musiker gründeten Genetikk mit 13 Jahren während ihrer Schulzeit. Ihr Markenzeichen sind seit jeher schwarze Sturmmasken mit weißen Totenkopf Verzierungen an deren Kopfenden mehrere lange Fäden befestigt sind. Durch diese genießen sie absolute Anonymität, denn mehr als die Herkunft ist über die Gruppierung nicht bekannt. Weder die bürgerlichen Namen, noch das Aussehen. Bekannt sind Genetikk beispielsweise durch Singles wie „Liebs oder lass es“, welche gemeinsam mit dem deutschen Rapper Sido veröffentlicht wurde, oder auch „Wünsch dir was“. Sie standen seit dem Beginn ihrer Karriere bei Selfmade Records unter Vertrag, veröffentlichten nun aber ihr aktuellstes Album über das neue selbst gegründete Label Outta This World.

„Du sagst, Genetikk kann keiner verstehen. Zeig mir ’n Genius, den alle verstehen!“

Das gesamte Album lässt sich in eine Reihe mit den sogenannten Konzept-Alben stellen. Hierbei spricht man von Alben, die, wie es der Name bereits vermuten lässt, einem gewissen Konzept folgen und meistens einen roten Faden besitzen. Genetikks Album steht ganz im Sinne der Alien-Metapher, dass sie anders seien, als der Rest. In diesem Fall anders, als alle anderen deutschen Rapper. Sie beschreiben sich durchweg als Außerirdische, die auf der Erde nicht zu Hause wären und sich nicht mit den Menschen der Erde identifizieren können. Passend dazu wird das Rap-Duo auf dem Cover als Cartoonfiguren dargestellt, wobei sie sich bei der Gestaltung deutlich an der, der Zeichentrickserie „Rick and Morty“ orientiert haben. Gleichzeitig nutzen sie das wohl bekannteste Stilmittel im „Rapgame“, sich in ein besseres Licht zu stellen als alle anderen. Die Anderen haben nichts drauf, haben keine Ahnung wovon sie überhaupt reden und verstehen die Message, die ich als Rapper vermitteln will, erst recht nicht. Das Außerirdische-Oberthema verpacken Genetikk weiterhin in Form einer eigenen Radio Show, was sich auch im Titel des Albums widerspiegelt. In mehreren der zwölf Songs ertönt eine Frauenstimme im Stile einer Nachrichtensprecherin, welche einen fiktiven englischen Radiosender moderiert. Hier wird immer wieder vor Genetikk und ihren Aussagen gewarnt und dass die Menschen sich in Sicherheit bringen sollen.

Tracklist
  1. GREETINGS EARTHLINGS
  2. NICHT FÜRS RADIO
  3. MASTERS VOM MARS
  4. E.T.
  5. CHOP $UEY
  6. ALIENMADE feat. YUNG RVIDER
  7. PHONE HOME feat. DCVDNS
  8. ALLE MEINE LEUTE feat. Manuellsen
  9. MANNA VOM HIMMEL
  10. SPACE FUNERAL feat. Tiavo
  11. FLIEG INS ALL feat. KIDD
  12. FRAG JEDEN

Mit zwölf Songs an der Zahl handelt es sich um ein eher kleineres Album. Zum Vergleich: Es gibt Rapper (bsp. RIN), die die gleiche Anzahl an Musik als Mixtapes oder EPs veröffentlichen. Wenn man hört, dass Genetikk ein Album veröffentlichen, erwartet der Hörer auch eine gewisse Menge an Musik und diese ist mit nur 12 Songs nicht wirklich gegeben. Allerdings sollte man dabei nicht vergessen, dass im Titel „Vol.1“ steht und somit eigentlich schon sehr deutlich gezeigt wird, dass ein weiteres Album dieser Art und somit auch mehr Musik folgen wird.

Das Album wurde am vergangenen Freitag, dem 29. November 2019 veröffentlicht. Es beginnt mit einem zusammengemischten Intro (GREETINGS EARTHLINGS), welches sowohl die Nachrichtensprecherin als Einweisung in das Thema zu Wort kommen lässt, als auch einige ältere Song-Ausschnitte von Genetikk beinhaltet und den Hörer somit auf die kommenden 37 Minuten Laufzeit einstimmen soll. Der darauf folgende Track NICHT FÜRS RADIO läutet die Platte endgültig mit einem fulminanten Spektakel ein. Sikk beweist vor allem in diesem Song, dass er in Sachen Beats und Musikproduktion genau weiß, was er tut. Ein gewaltiger Orchester-Sound mit hervorgehobenen Streichern und einigen Bass-Passagen. Die Lyrics und die Vocals steuert wie gewohnt Karuzo dazu bei. Der Track eignet sich besonders als Einstieg, denn sowohl die Außerirdischen-Thematik als auch das Radio-Stilmittel werden hier deutlich hervorgehoben und mit Zeilen wie: „Genetikk versteh‘ ich nicht, die widersprechen sich. Tut mir leid, aber ich check‘ die Message nicht„, wird ganz gezielt der heutzutage typische Deutsch-Rap Hörer verpönt. Genetikk richten sich in diesem Song also klar gegen die Masse und wollen nicht auf der Welle mitmischen. MASTERS VOM MARS und E.T. geben einen ähnlichen Denkanstoß und folgen ihrem Vorgänger inhaltlich. Außerdem richten sie sich zu 100 Prozent nach dem Thema des Albums. CHOP $uEY hingegen sticht als erster Track aus dem Albumkonzept heraus. Dieser erschien als erste Single-Auskopplung bereits am 25. Oktober 2019 und ist eine Anspielung auf das asiatische Gericht Chop Suey bzw. auf das Lied „Chop Suey!“ der amerikanischen Band System of a Down. Hier zeigen Genetikk lediglich, dass sie die krassesten im Game sind und das keiner ihnen das Wasser reichen kann.

„Unser Wert, er fällt nie. Ich hab alien-made Dreams“

Ab der Hälfte des Albums bekommen Genetikk Unterstützung von fünf weiteren Künstlern. Manuellsen, YUNG RVIDER, DCVDNS, Tiavo und KIDD sind mit von der Partie. Manuellsen, DCVDNS und KIDD aka. Sierra Kidd, sind Genetikk Fans als langjährige Kollegen und Weggefährten bekannt, Tiavo und YUNG RVIDER hingegen gehören bereits seit 2018 dem neuen eigenen Label an. Allerdings kann kaum einer der Gäste wirklich überzeugen. DCVDNS Part auf PHONE HOME wirkt gelangweilt und lustlos, fast so, als wären sowohl Text als auch Aufnahme innerhalb von nur wenigen Minuten ohne großen Hintergedanken entstanden. Tiavo und YUNG RVIDER merkt man hier und da noch an, dass sie noch nicht lange in der Musik unterwegs sind. Dennoch klingen ihre Anteile vielversprechend und sind womöglich auf die falschen Songs verteilt worden, zu einem Sound, der ihnen vielleicht nicht so richtig liegt. KIDD bringt eine ganz andere Atmosphäre auf das sonst eher toughe, raue Album. In FLIEG INS ALL hat man an der Autotune-Nutzung nicht gegeizt und kreiert somit den typischen Cloudrap-Sound, der die Thematik des Albums, aber vor allem auch die des Songs nicht besser hätte unterstützen können. Damit wird ein gewisser Vibe geschaffen, der einen förmlich „abheben“ lässt. Dadurch sticht besonders dieser Track auf dem Album heraus, vor allem, da er als Vorletzter aufgelistet ist und nach dem man sich bereits an den typischen Genetikk Sound auf dem Album gewöhnt hat, schon fast überraschend und unerwartet wirkt. Manuellsen ist jedoch der Einzige, dessen Stimme und Text wirklich passend ausgewählt wurden. Zwischen ihm und Karuzo spürt man als Hörer eine gewisse Harmonie und auch der Beat ist treffend produziert. ALLE MEINE LEUTE ist einziges Shotout an Genetikks Team und alle Befürworter. Auch einer der wenigen Songs, der rein gar nichts mit der Alien-Thematik zu tun hat.

Insgesamt hat das Album eine sehr gemischte Resonanz bekommen. So titulieren die Fans Songs wie NICHT FÜRS RADIO als Song des Jahres, gleichzeitig reden Kritiker aber auch von einer paradoxen Aussage des Albums. So behauptet Yannik Gölz von Laut.de: „Sollte die Ambitionslosigkeit nach der ersten Hälfte nicht schon unleugbar sein, hittet die zweite mit zum Teil völlig austauschbaren Feature-Nummern. Diese reichen von einem uninspirierten DCVDNS über einen starken Manuellsen, über einen hochnotpeinlichen Yung Rvider bis zum grauenhaften Autotune-Gejaule von Sierra Kidd. War das nicht ein paar Tracks vorher noch der Gegner? Oder ist es cool, wenn mans selbst macht?“ (https://www.laut.de/Genetikk/Alben/OUTTATHISWORLD-113294).

Generell ist es nicht zu leugnen, dass die Thematik des Albums nicht sonderlich innovativ ist. Das man nicht auf die Erde gehöre und zu Größerem berufen sei als der Rest, hat man auch schon bei Gruppen wie DAT ADAM gehört. Dennoch ist es schön zu sehen, wie Genetikk dies bis zum Ende durchziehen. Auch das Radioshow Stilmittel ist nichts Neues, hält sich aber gut, lenkt nicht von der Musik ab und nimmt den Hörer an die Hand. Die Beats von Sikk sind kreativ gesehen sehr weit ausgereift und vor allem durchaus abwechslungsreich. Jedoch sind Genetikk textlich dem roten Faden zu sehr verfallen. Jeder Song beinhaltet mindestens eine Zeile über das Außerirdischen Thema und über die Abgrenzung zu anderen Rappern. Hier gibt es kaum Abwechslung und nach den ersten drei Tracks beginnt man sich ein wenig zu langweilen. Bis auf den wirklich anders klingenden Part von KIDD, versinkt Song für Song in einer Schleife der Trostlosigkeit, ohne dass man durch eine gewisse Passage oder Melodie wachgerüttelt wird. Nach einem episch klingenden Start wird Genetikk den Erwartungen nicht gerecht und der Sound verblasst wortwörtlich auf ihrer Reise durch das All. Insgesamt sind die Songs wirklich gut produziert und klingen vermutlich als Singles sehr gut, jedoch funktionieren sie nicht als gesamtes Album. Lediglich die Thematik und das Radioshow-Stilmittel halten das Werk zusammen. Bleibt abzuwarten, ob Genetikk tatsächlich eine Fortsetzung herausbringen und ihre Abgrenzung vom Deutsch-Rap weiterhin durchziehen, dann aber vielleicht nicht allzu verkrampft.

von Lennart Fitzler