Diskussionen über gewaltverherrlichende Computerspiele gibt es immer wieder. Aber was ist eigentlich mit dem Fußball-Spiel FIFA? Lauert hier möglicherweise das noch größere Gewaltpotenzial?
Von Niklas Brose, Lennart Fitzler und Tim Jonas
Bettleisten zerbersten, Handydisplays zersplittern, Selbstverletzung und Wutgefühle, die tief im Unterleib brodeln. Ein solches Szenario erleben einige Jugendliche vor ihren Spielekonsolen jeden Tag. Dass Computerspiele aggressives Verhalten auslösen können, beweisen etliche sogenannte „Rage-Compilations“ auf Youtube. Dort kann man miterleben, wie Gamer live vor der Kamera während eines Spiels ausrasten und sich teilweise sogar ernsthafte Verletzungen zuziehen.
Gaming und Aggressionen
Besonders nach Gewaltaktionen wie dem Terroranschlag in Halle wird immer wieder über die Gefahr, die von „Killerspielen“ ausgeht, diskutiert. Laut Bundesinnenminister Horst Seehofer kommen viele der Menschen, die für einen derartigen Gewaltakt in der Lage wären, aus der Gamerszene. Doch es gibt auch Spiele, in denen es überhaupt nicht um Gewalt geht, und die dennoch ein enormes Aggressionspotenzial zu haben scheinen. Eines von ihnen ist FIFA.
Der 21-Jährige Marvin spielt seit Jahren FIFA und weiß, wie es sich anfühlt, wenn die Sicherung beim Zocken dieses Spiels wieder einmal durchbrennt. „Ich hab den Controller so lange auf den Tisch gehauen, bis er kaputt war“, erzählt der Auszubildende. Auch seine Couch musste dran glauben. „Ich habe die Lehne komplett kaputtgeschlagen, obwohl die aus Holz ist“, erinnert sich der Hobby-Gamer an einen seiner Ausraster beim FIFA spielen. Im echten Leben hat Marvin nie Probleme mit Aggressionen, doch das Fußball-Game scheint bei ihm ein enormes Aggressionspotenzial zu entfalten.
Warum Spiele wie FIFA aggressiv machen
Erklärungen hierfür lassen sich psychologisch untermauern: „Nicht Gewalt-Inhalte, sondern frusterzeugende Inhalte sorgen für Aggressionen“, so das Resümee einer 2014 durchgeführten Studie zum Thema Aggressionen bei Videospielen. Die beiden Forscher Andrew Przybylski vom Oxford Internet Insititute und Richard Ryan von der University of Rochester testeten an 600 Teilnehmer welche Videospiele das höchste Aggressionspotenzial aufweisen.
Wenn der Spieler das Gefühl hat, keine Kontrolle über den Verlauf und Ausgang des Spiels zu haben, staut sich die Aggression an. Man fühlt sich in seiner Kompetenz angegriffen, weil der Einfluss nur zum Teil bei einem selbst liegt.
Bei FIFA sorgen Unwägbarkeiten, technische Fehler und Internetprobleme beim Onlinespielen dafür, dass auch bessere Spieler gelegentlich gegen Schlechtere verlieren. Und dann dringt das explosive Gefühl durch, nicht gut genug zu sein und unfair behandelt worden zu sein. Auch fallen bei FIFA deutlich mehr Tore als in realen Fußball-Spielen. Latten- und Pfostentreffer treten häufiger auf und lassen den Spieler nur umso frustrierter werden: Beinahe war er drin. Eine winzige Daumenbewegung am Joystick und es wäre ein Tor gewesen. Frustration mündet in Aggression, ob Beleidigungen gegenüber sich selbst, den anderen oder sogar Gewaltausbrüche und zerschlagene IKEA-Tische.
Bei dem prestigeträchtigen Sport Fussball geht es auch oft um ein Kräftemessen. Bei einer Niederlage fühlt man sich gedemütigt und misst dieser eine äußerst hohe Bedeutung bei, da der Spieler an seinen eigenen Fähigkeiten zweifelt. Ein Erfolg im Spiel wird oft als Selbstbestätigung gedeutet, ein Misserfolg folglich als Rückschlag und Kränkung des Selbstwertgefühls.
„Wenn man ein Fussballspiel spielt, bildet man sich ein, ein leistungsstarker Athlet zu sein“ Games-Forscher und Pädagoge Jesper Juul
Ultimate-Team und Weekend-League: Besondere Aggressionsquellen
Der Spielmodus „Ultimate Team“ bei FIFA legt noch einen drauf: Hier wird zum Teil mit Echt-Geld bezahlt, um Starspieler in sein Team aufnehmen zu können. Bei einer Niederlage regt man sich somit zusätzlich noch über das investierte Geld auf, dass offensichtlich nicht zum gewünschten Erfolg beigetragen hat.
Beim Ultimate Team-Modus hat man die Möglichkeit, sich eine völlig individuelle Mannschaft aus allen Spielern des gesamten Spiels zusammenzustellen. Dabei werden diese in unterschiedliche Klassen eingeordnet. Mit seinem zusammengestellten Team kann man dann weltweit online andere Spieler herausfordern und um Coins, Erfahrungen und Belohnungen kämpfen. Innerhalb der FUT-Community ist hierbei die Weekend-League besonders beliebt, denn hier warten noch verlockendere Belohnungen als im üblichen Spielbetrieb.
Ist man einmal für die Weekend-League qualifiziert, hat man von freitags bis sonntags Zeit 30 Spiele hinter sich zu bringen und so viele Siege wie möglich einzufahren. Dabei prangt stets die aktuelle Statistik über dem eigenen Team im Hauptmenü. Dadurch sehen sich die meisten Spieler dazu gezwungen solange weiterzuspielen, bis sie eine 30-0-0 Streak bekommen, also 30 Siege aus 30 Spielen. Diesem (Über-)Ehrgeiz, immer der Beste zu sein und die allerbesten Karten bzw. Spieler in seinem Team zu haben und zu den besten Spielern der FIFA-Community aufzusteigen, zollen viele Stühle, Sofas, Tische aber vor allem Controller bis heute ihren Tribut.
Der Markt für Spiele wie FIFA boomt
In den letzen Jahren hat sich der E-Sport von einem Nischensport für Stubenhocker hin zu einem Breitensport mit einem gigantischen Markt entwickelt. Preisgelder im Millionenbereich sind keine Seltenheit. Aus diesem Grund gibt es auch in Deutschland mittlerweile etliche Vereine, in denen junge Gamer trainiert werden. FIFA ist auch dort ein beliebtes Spiel. Dies verdeutlicht die Relevanz des Themas.
Auffallend ist, dass das so unschuldig erscheinende Fußball-Game FIFA laut Aussagen diverser Zocker eindeutig für mehr Aggressionen verantwortlich ist als jedes andere Spiel. Wie also sollen Spieler oder besonders Eltern von jungen Gamern mit den potenziellen Aggressionen umgehen?
Wichtig ist, die Psychologie hinter den Ursachen der Aggressionen zu kennen. Der Drang, besser als sein Gegner zu sein sowie das Verhalten der Computersteuerung bringen viele Spieler zum Verzweifeln. Deshalb ist es wichtig, dass vor allen Dingen jungen Spielern beispielsweise durch die Eltern ein richtiger Umgang mit dem Computerspiel beigebracht wird.
Sonst laufen die Spieler Gefahr, täglich durch ein eigentlich unwichtiges Videospiel frustriert zu werden. Auch wenn sie das nicht gleich zu potenziellen Amokläufern macht, ist es trotzdem eine Einschränkung ihres Wohlbefindens und dem sollten alle FIFA-Spieler versuchen etwas entgegen zu setzen.