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Wie wollen wir leben? – Wie Corona unsere Gesellschaft verändern kann

Die Corona-Krise hat uns gezeigt, dass Solidarität funktionieren kann und Ruhepausen unserer Gesellschaft durchaus gut tun. Die Frage ist: was davon wird bleiben? Hat uns die Krise gezeigt, wie wir wirklich leben wollen oder werden wir schnell zu unserer alten Normalität zurückkehren?
Eine Multimedia-Story über Verantwortung, Das Miteinander und die Wünsche für eine Gesellschaft nach der Krise.
Lesezeit: 4 Min / Audio: 4 Min / Video: 3 Min
Von: Philipp Middel, VIctoria Robertz, Laura Stonn und Susanne Weidenbrück

Schon vor Ausbruch der Corona-Krise waren Veränderungen ein fester Bestandteil unseres Alltags. Die meisten passierten nebenbei – ein neuer Hype, ein neues No-Go, ein neues Café an der nächsten Ecke. Andere – Begegnungen, Verluste, Erlebnisse – haben uns Fragen stellen und Dinge neu denken lassen. Aber die wenigsten Veränderungen haben uns wirklich geprägt und jedes Mitglied der Gesellschaft gleichermaßen betroffen.

Eine Twitter-Userin merkt, dass sich ihr Verhalten durch den Lockdown positiv verändert hat.

Dann kam der Corona-Lockdown und damit der Einschnitt in unser aller Normalität und Lebenswirklichkeit. Und plötzlich findet sich die Gesellschaft als ganze in der Situation wieder, sich die essenziellen Fragen zu stellen: Wie soll unsere Gesellschaft aussehen? Darf man noch lachen, wenn andere leiden? Trägt jeder die Verantwortung für sein eigenes Schicksal oder kann uns nur Solidarität auf Dauer weiterbringen? Was soll bleiben aus der Krise? Kurz: Wie wollen wir in Zukunft leben?

Solidarität – Ein kurzfristiges Phänomen?
Die Passanten in Köln sind sich einig, dass Corona uns und unseren Alltag verändert hat. Aber ob das Gute bleiben wird, ist fraglich.

Solidarität ist ein Wort, das dieser Tage immer wieder fällt. Umfragen in der Kölner Innenstadt und des Institues YouGov zeigen, dass der Eindruck, die Krise habe uns näher zusammengebracht, durchaus verbreitet ist. Die große Solidarität sticht dabei als etwas Positives heraus, das unsere Gesellschaft nach Corona beibehalten sollte.

Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zeigt: Der Großteil der Befragten findet, die Corona-Krise hat uns näher zusammengebracht.

Der Psychologe Reinhard Strecker hat die Solidarität allerdings als ein eher „kurzfristiges Phänomen“ wahrgenommen und zweifelt den Fortbestand dieses Zusammenhalts an.

Quelle: lvz.de
Ausschnitte aus dem Interview mit Diplompsychologe Reinhard Strecker (Foto), Therapeutischer Leiter der Horizonte gGmbH in Leipzig

Ähnlich sei es mit dem Glücksgefühl gewesen. Zwar hat die Wochenzeitung DIE ZEIT in einer nicht repräsentativen Umfrage festgestellt, dass die Mehrheit der Menschen während des Lockdowns so glücklich war wie normalerweise nur an einem Sonntag. Das sei, so Strecker, aber nur zu Beginn so gewesen. Viele hätten den Lockdown anfangs als Entlastung wahrgenommen und sich sicher gefühlt. „Je länger der Zustand angehalten hat, desto anstrengender wurde es“, fährt er aber fort. Dann seien auch die Glücksmomente weniger geworden.

„Das Gewohnte macht am wenigsten Angst.“

Reinhard Strecker, Diplompsychologe und Leiter von Horizonte gGmbH

Und die Forderungen nach Normalität wurden immer lauter. Aber warum eigentlich, wenn unsere Normalität Stress bedeutet und der Lockdown doch die ersehnte Pause vom Alltag zu sein schien? „Das Gewohnte macht am wenigsten Angst“, ist die Antwort des Psychologen. Die Rückkehr zur Normalität würde also eine „Entängstigung“ bedeuten. Und Stress sei auch nicht pauschal schlecht. „Stress ist auch ein Stück weit Energie“, meint Strecker, die uns weiterbringe.

Dass Corona allerdings zu einer tatsächlichen Ruhepause geführt hat, begrüßt der Psychologe sehr. Die bisherige Normalität bedeutete aus seiner Sicht häufig Überforderung, trotz des Sonntags, der ja eigentlich Ruhetag ist. Reinhard Strecker plädiert sehr dafür, diesen zukünftig auch tatsächlich als einen solchen wahrzunehmen.

„Die Qualität des Lebens kann steigen, wenn man sich anders organisieren darf.“

Peter Stonn, Unternehmer und Familienvater

Peter Stonn ist Vater von vier Kindern und selbstständig mit einem Unternehmen für Firmencoachings. Sonntage waren für ihn bisher der einzige Tag in der Woche, den er mit seiner Familie verbringen konnte. Aber in der Corona-Krise hatte er auf einmal viel mehr Zeit mit seinen Kindern – und hat diese genossen.

Die Kontaktbeschränkungen bedeuteten für ihn zunächst einen Schock. Er musste auf der einen Seite den Alltag im Privaten neu organisieren und auf der anderen sein Geschäftsmodell umstellen. „Man muss der Verantwortung gerecht werden“, meint Peter Stonn. Die trägt er sowohl für seine Familie als auch für die Firma. „Da waren neue Ideen fällig“.

Peter Stonn weiß jetzt, dass man keine Krise ungenutzt lassen sollte, da solch eine Erfahrung die Lebensqualität durchaus steigern kann.

Als diese aber dann da waren, habe er die Krise im Alltag gar nicht mehr als solche erlebt. Im Gegenteil meint er, sei es ihm leichter gefallen, Beruf und Privates zu verbinden. Generell glaubt er, dass die Möglichkeit, den Tag frei und unabhängig von festen Arbeitszeiten zu gestalten, die Lebensqualität steigern könnte.

Darf man darüber Scherzen?

Und dann ist da noch der Humor. Unser Weg aus der Krise? Oder das nächste neue Corona-No-Go? Newcomer-Comedian Niklas Siepen hält den Humor durchaus für einen Weg aus der Krise. Es sei natürlich nicht der einzige, aber immerhin ein Ansatz. Seiner Meinung nach ist Humor vor allem in schlimmen Situationen wichtig und kann einer Gesellschaft helfen über ernste Themen hinwegzukommen. „Man muss natürlich das Feingefühl haben“, weiß der Comedian. Doch dann findet er Witze über Corona völlig in Ordnung.

Der Comedian Niklas Siepen ist sich sicher, dass uns Humor in der Krise hilft. Es kommt nur auf das richtige Taktgefühl an.

Wie viele andere, hat sich auch Niklas Siepen über das in den letzten Monaten entstandene Gemeinschaftsgefühl gefreut. Die Rücksicht, die auf einmal wieder auf Ältere genommen wurde und die Aufmerksamkeit für soziale Projekte haben ihn begeistert.

Unser Fazit

Wir stellen also fest, dass uns der gesellschaftliche Zusammenhalt wichtig ist. Aber selbst wenn unsere Gesellschaft es schaffen sollte solidarischer zu werden, bleibt immer noch die Frage nach der Verantwortung. Jeder für sich oder einer für alle?

Der Psychologe Reinhard Strecker findet es wichtig, sich neben der Verantwortung für sich selbst auch Gedanken über die der Gesellschaft zu machen. Auch „die Rolle des Staates“ sei nicht unerheblich. Doch letztlich liegt es an jeder und jedem Einzelnen. Wie sehr sind wir bereit, an unsere Mitmenschen zu denken?

Denn die Entscheidung, wie wir leben wollen, fällt zunächst einmal jeder für sich. Es bleibt zu hoffen, dass bei dieser Entscheidung der Gedanke an die größere Sache, nämlich unsere Gesellschaft, unser Miteinander und damit auch das Wohlbefinden des Einzelnen im Mittelpunkt stehen werden.

So viel schöner könnte dann unser neuer normaler Alltag aussehen: Geprägt von Solidarität, aber mit der Freiheit das Berufs- und Privatleben individuell zu verbinden. Nicht zu ernst, aber stets mit Bedacht auf andere. Voll Optimismus, dass unsere Gesellschaft auch zukünftig dazu in der Lage sein wird, sich die essenziellen Fragen zu stellen und über mögliche Antworten zu diskutieren.