* 1958 † 2009
Es lebe der König!
Es ist der 25 Juni und kurz vor Mitternacht in Deutschland als die Nachricht durch die sozialen Netzwerke geistert. Das nicht vorhanden sein eines Accounts bzw. Profils hindert auch ihn nicht das er es mitbekommt. Sein Handy leuchtet und vibriert.
Eine SMS!
Es passiert automatisch. Griff zum Handy, Tasten entsperren, Nachricht öffnen, lesen. Vier Wörter stehen da. Vier Wörter die in ihm zweierlei Gefühle auslösen. Erstens: „Es gibt schon viele schlechte Witze aber der ist einfach geschmacklos“. Zweitens: „Bitte, bitte, bitte lass es wirklich einen schlechten Witz sein.“ Doch zu Beginn obsiegt das erste Gefühl und er denkt nicht weiter darüber nach. Doch dann vibriert sein Handy ein Zweites mal. Erneut leuchten die Vier Wörter auf. Er hat die Tastensperre seines Mobiltelefons gerade aktiviert als es ein Drittes mal vibriert. Er will die Nachricht nicht öffnen, er kennt den Inhalt. Ein mulmiges Gefühl beschleicht ihn. Der Drang die Nachricht zu öffnen und zu lesen ist zu groß und so öffnet er die SMS, Ein Viertes Mal vibriert das Ding in seiner Hand.
Jetzt reicht es!
Er entsperrt sein Handy, öffnet die Nachricht und liest:
Michael Jackson ist tot!!
Die Gedanken fliegen um den Raum.
„Wie kann das sein? Ich hab ihn doch gestern noch im Fernsehen gesehen. Verdammt ich war noch nicht auf seinem Konzert.
Wenn das nicht stimmt kaufe ich mir sofort eine Konzertkarte. Ach das ist wahrscheinlich nur eine Falschmeldung.
Die sensationsgeilen Amerikaner machen bestimmt aus einer Maus einen Elefanten.
Ok ich Google das jetzt!“
Er steht auf, schüttelt sich erst mal und setzt sich an seinen Schreibtisch. Der Laptop gibt ein kurzes surren von sich und begrüßt ihn mit den üblichen Abläufen. Alles normal denkt er sich. Als müsste der Tod von Michael Jackson auf alles und jeden Einfluss nehmen, als müsste alles und jeder sofort in tiefe Trauer verfallen und nicht mehr funktionieren zumindest nicht normal funktionieren. Während der Browser startet, schaltet er den Fernseher ein. Er hat gelernt nicht nur einer Quelle zu vertrauen. Irgendetwas sagt ihm: „Nur wenn alle Medien das sagen glaube ich es auch.“ Mittlerweile hat sein Handy schon weitere Sieben Mal vibriert. Geöffnet hat er keine von denen. So langsam fängt er an zu glauben, dass es eventuell doch stimmt. Er tippt hastig in die Tastatur – MICHAEL JACKSON – ein. Mit der Fernbedienung in der Hand zappt er durch den Wust an Kanälen, in der Hoffnung irgendein Kanal sagt, dass ein schlechter Witz rum geistert. Während er auf den Computer Bildschirm guckt lauscht er dem Fernseher und versucht seine Gedanken zu ordnen.
Das Handy klingelt. Er geht ran ohne drauf zu gucken wer es ist. Er starrt noch immer seinen Computer Bildschirm an, irgendwie fühlt er gerade nichts. Beschreiben würde er es mit dem Gefühl vom freien Fall, nur ohne den gerade dringend benötigten Adrenalin Kick.
Das Handy ist noch immer an sein Ohr gedrückt. Die Stimme an der anderen Leitung ist brüchig und zittrig. Sie schluchzt. Während sie ihm wimmernd sagt das der „King of Pop“ gestorben ist, hört und liest er es gleichzeitig auf allen Kanälen.
Sein Stuhl scheint sich nicht zu bewegen. Noch immer hat er keinen Ton gesagt, doch auch die Stimme in der anderen Leitung hat nicht mehr gesagt als den Satz zu wiederholen der im Raum immer wieder zurückhallt.
Michael Jackson ist tot!
Er zappt völlig geistesabwesend mit der Fernbedienung durch. Die Bilder sind immer die gleichen. Irgendwo steht: „Eilmeldung“, „Flash-Nachricht“. Programme werden kurz unterbrochen um die Nachricht durch die Welt zu jagen. Immer noch sitzt er da und weiß nicht wirklich viel mit sich anzufangen. Sein Bruder stürmt in das Zimmer und fragt ihn völlig hysterisch ob es stimmt was jeder erzählt. Er ist nicht in der Lage zu antworten und nickt nur zustimmend mit dem Kopf. Geweckt von dem Lärm kommt auch seine Mutter noch völlig schlaftrunken in das Zimmer und möchte Wissen was die Unruhe zu bedeuten hat. Die Brüder sagen keinen Ton, brauchen sie auch nicht. Die Bilder sprechen für sich. Im Zimmer herrscht eine Stille nach der man greifen kann.
Keiner sagt einen Ton.
Motiviert von dem Gedanken ihre Söhne zu trösten bricht die Mutter das Schweigen und stellt Fragen um eine Art Konversation zu starten. Das Handy klebt immer noch an seinem Ohr. Die Freundin hat aufgelegt, er hat es nicht gemerkt. Kurz kommt er zu sich und entsperrt sein Handy. Siebzehn Nachrichten und drei Anrufe stehen auf dem Display. Er fragt sich, wann die Nachrichten eingegangen sind. Er hat es nicht gemerkt. Sein bester Freund, eine weitere Freundin und sein Cousin haben angerufen. Er denkt sich noch kurz einen der drei zurückzurufen, doch verwirft den Gedanken wieder. Die siebzehn Nachrichten überfliegt er nur kurz, der Inhalt ist immer derselbe. Er legt sein Mobiltelefon beiseite und konzentriert sich wieder auf den Bildschirm vor sich. „Beruhige dich“, denkt er sich. „Wir schulden Gott alle einen tot.“
„Es ist auch völlig normal das Menschen sterben und Michael Jackson ist nun mal ein Mensch….“. Das Wort „gewesen“ will ihm nicht über die Lippen kommen. Er widmet sich seinem Computer. Den Ordner mit den Michael Jackson Liedern braucht er gar nicht lange zu suchen, er befindet sich auf dem Desktop. Ein Doppelklick und seine achtunddreißig Lieblingssongs öffnen sich. Der Fernseher läuft noch immer und strahlt die gleichen Bilder seit fünfzehn Minuten aus. Die ersten Töne schallen in seinem Zimmer und die Kombination aus Bild und Ton geben ihm den Rest. Tränen füllen seine Augen und ein schmerzender Kloß setzt sich in seinem Hals fest. Sein Handy klingelt, er nimmt sofort ab. Seine beste Freundin ist an der anderen Leitung und fragt leise ob er sprechen kann. Er braucht nicht lange um herauszuhören das sie weint. Gerade als sie ihm etwas sagen möchte, spielt sein Computer „You Rock my World“.
Sein Lieblingslied!
Diesmal überkommen ihn die Gefühle und er kann und will sie auch nicht zurück halten. Sofort nach dem erklingen des ersten Tones hat seine beste Freundin begonnen zu weinen. Seine Tränen kullern ihm warm die Wangen runter und er versucht noch immer nicht zu Schluchzen.
Der Fernseher ist Stummgeschaltet, er will nicht, dass die Musik gestört wird. Die Bilder brennen sich in sein Gedächtnis. Er denkt noch darüber nach ob er sie jemals vergessen kann. Vom dem Gerät in seiner Hand ertönt die Stimme und fragt: „Geht es dir gut?“. Eine komische Frage, wie er findet, denn körperlich geht es ihm gut allerdings ist er seelisch nicht im Einklang. Seine Gefühlswelt wurde aus den Fugen gerissen. Sein Kindheitsheld, den er verehrt hat, dessen Alben er sich gekauft hat, dessen Tanzschritte er studiert hat weilt nicht mehr unter den Lebenden. Er bereut es gerade sehr, dass er nie auf einem seiner Konzerte war.
Warum? Fragt er sich. Bevor er eine Antwort darauf geben kann hört er noch einmal seine beste Freundin: „Hey bist du da?“. Er antwortet mit einem Nicken und merkt danach selbst, dass sie es gar nicht mitbekommen kann. „Ja, danke und bei dir?“. Wieder Stille. Sein Handy vibriert und er öffnet die Nachricht, sie reden sowieso nicht viel miteinander. Fünf ungelesene Nachrichten. Er öffnet sie und merkt, dass zumindest sich der Inhalt der Nachrichten geändert hat. Das Michael Jackson tot ist scheint mittlerweile bei allen angekommen zu sein. Sie bekunden ihr aufrichtiges Beileid aus und erinnern an Anekdoten vom „King of Pop“. Wahrhaben will es nicht wirklich irgendeiner. Auch er hadert noch mit sich selbst und versucht sich selbst einzureden, dass alles in Ordnung ist.
In einem ruhigen Moment ist er dann doch auf eine Art fasziniert von dem ganzen Spektakel. Michael Jackson ist gefühlt auf der anderen Seite der Welt, doch sein Tod hat alle, inklusive ihn und seine Freunde getroffen. Was ihn beeindruckt ist die Tatsache, dass es nicht Mal fünfzehn Minuten gedauert hat bis er die Nachricht bekommen hat. Fünfzehn Minuten brauchte es um die ganze Welt für einen Moment in tiefe Trauer zu stürzen. Fünfzehn Minuten bis die ersten Menschen ihren Tränen freien lauf ließen. Fünfzehn Minuten um die ganze Welt an die Fernseher zu bannen. Fünfzehn Minuten saß er regungslos auf seinem Stuhl und wollte es nicht wahrhaben. Die Ironie dahinter ist das auch Michael Jackson zu Lebzeiten fünfzehn Minuten in Budapest auf der Bühne stand und die Menschen ähnliche Reaktionen hatten.
Genau so möchte er dann auch sein Idol in Erinnerung behalten. Unerschütterlich stand er auf der Bühne und alle jubelten ihm zu. Dieses Bild wie er vor Tausenden von Menschen fünfzehn Minuten lang keinen Ton sagt und auch kein Wort verliert, aber die ersten Menschen Ohnmächtig umfallend raus getragen werden müssen. Genau diesen Moment und dieses Gefühl wird er auf ewig mit sich tragen. Den einzigen Trost den er in dem Moment findet ist das er zumindest in dem gleichen Jahrhundert gelebt hat wie er. Während er noch in Gedanken ist, spielt sein Computer „Billy Jean“ und seine Freundin am Hörer sagt: „Der Mann war einfach der Beste!“
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