Gefangen im falschen Körper

Von Theresa Thyen 


Justus (Name geändert) ist 20 Jahre alt und wurde als Mädchen geboren. Er ist Transgender. In seiner Wahlheimat Köln genießt er die Anonymität, doch mit uns hat er offen über seinen bisherigen Lebensweg gesprochen.

Wenn man die Begriffe Transsexualität und Transgender in die Suchmaschine eingibt, stößt man relativ schnell auf den nahezu inflationären Gebrauch der Überschrift „Gefangen im falschen Körper“. Nicht besonders kreativ und originell dachte ich mir, während meiner Recherche zu dem Thema. Fällt den Leuten denn nicht mehr ein? Ich wollte zumindest etwas Besonderes schreiben und mir eine andere Überschrift für meinen Beitrag zum dem Thema ausdenken, das war klar. Am nächsten Tag traf ich Justus (Name geändert), der hier nicht erkannt werden möchte. Er hatte sich Zeit genommen, um sich meinen Fragen zu seiner Transsexualität zu stellen. Nach wenigen Minuten war klar, diese Überschrift hatte ihre Berechtigung. 

Justus (Name geändert) möchte nicht, das er hier erkannt wird Foto Theresa Thyen
Justus möchte hier nicht erkannt werden, da nicht jeder von seiner Transsexualität weiß. (Foto: Theresa Thyen)

Justus ist 20 Jahre alt und auf den ersten Blick ein ganz normaler, junger Mann. Er studiert in Köln, wohnt mit seiner Freundin zusammen. Und wie so viele, die aus der Provinz in die Großstadt ziehen, liebt er die Anonymität in Köln. Doch bei ihm hat das andere Gründe. Justus wurde als Mädchen geboren. In Köln weiß das keiner, da sieht ihn jeder selbstverständlich als Mann an. In der Provinz in Norddeutschland, wo er aufgewachsen ist, ist das nicht so. Dort muss er sich den Blicken und neugierigen Fragen der Menschen stellen, die ihn als Mädchen haben aufwachsen sehen. Dort ist er der absolute Exot, ein bunter Hund. Da geht so weit, erzählt Justus, dass man ihn zu seiner Sexualität befragt. Er versteht nicht, warum man sich bei ihm das Recht herausnimmt, ihm solche Fragen zu stellen. 

Für ihn war schon als Kind klar, dass irgendwas mit ihm nicht stimmt. Doch genau benennen, konnte er dieses Gefühl nie.  

„Ich habe versucht, einer Rolle gerecht zu werden.“

Doch der Hass gegen sich und den eigenen Körper wurde immer größer, erzählt Justus. Das ging so weit, dass er begann sich selber zu verletzten. Eine Dokumentation über Transsexualität öffnete ihm die Augen und er konnte Parallelen zu sich selber herstellen. Im Jugendalter begann er, sich eine zweite Identität im Internet aufzubauen. Als Junge. Er gab sich einen anderen Namen und testete aus, wie ihn Mädchen selbstverständlich als Jungen sahen. Das ging so weit, dass er sich unter diesen falschen Vorgaben mit einem Mädchen traf. Sie war unwissend und er genoss das Ansehen als Junge. Er begann zu verstehen, was er jahrelang als „irgendwas stimmt mit mir nicht“ betitelt hatte. Er steckte im falschen Körper, im Körper des falschen Geschlechts. Da war er ca. 14 Jahre alt und Mitten in der Pubertät. Der Phase des Lebens, wo sich der weibliche Körper entwickelt. Justus reflektiert diese Zeit heute so:

„Im Kopf habe ich die Pubertät eines Jungen durchlaufen, mein Körper die eines Mädchen.“

Mit 15 Jahren fing er an, Hormonblocker zu nehmen und erlebte eine Phase, die der von „Wechseljahren“ glich. Die Hormonblocker sollten vorerst die Entwicklung seines weiblichen Körpers unterbinden. Der nächste Schritt waren Hormonspritzen, die ihm in der Endokrinologie in Hamburg verabreicht wurden. Die Voraussetzung dafür war eine 1,5 Jährige Zwangstherapie. Wöchentliche Sitzungen, bei denen eine Therapeutin feststellen sollte, ob der Gedanke, ein anderes Geschlecht annehmen zu wollen, eine jugendliche Phase oder eine langfristige und identitäre Entscheidung ist. Die Therapeutin gab ihr „ok“. Sein Leben lang bekommt er nun alle drei Monate Testosteron-Spritzen verabreicht. Sein Körper würde ja selber nie Testosteron produzieren können. Ein weiterer prägender Schritt war eine offizielle Namensänderung. Den Namen Justus, hätten ihm seine Eltern gegeben, wenn er als Junge zur Welt gekommen wäre. Er hatte sie gefragt. 

Justus sagt, Mobbing sei nie ein Thema gewesen. Es habe ihm geholfen, dass er schon immer beliebt bei seinen Mitschülern gewesen war. Auch in seinem Familienkreis und von den Eltern hätte er immer Unterstützung erfahren. Lediglich bei seinem Opa hätte er ab und an das Gefühl gehabt, dass dieser Schwierigkeiten mit der Veränderung hätte. Aber er erzählt auch von den klassischen Problemsituationen, von denen ich auch schon in Artikeln oder Dokumentationen gehört hatte. So musste er eine zeitlang eine neutrale Toilette in der Schule benutzen, weil man ihm weder die Toilette der Mädchen noch der Jungen zugestehen wollte. Er bekam einen eigenen Schlüssel für eine weitere Toilette auf dem Schulhof, die nur er benutzen durfte. Auch während des Sport oder Schwimmunterrichts kam es zu solchen Szenen, als er sich alleine in der Lehrerkabine umziehen musste. Heute bezeichnet er das damalige Verhalten der Schule und der Lehrer als Überforderung und hegt keinen Groll. 

Wem er heute was erzählt, das entscheidet er individuell und je nach Vertrauensbasis. Bei Bekannten und neuen Freunden fühle er sich nicht verpflichtet,  jedem von seiner Transsexualität zu erzählen. Wenn er aber einer Frau näher kommt, dann ist es für ihn selbstverständlich, dass er das Thema von Anfang an offen angeht. Dieses Selbstbewusstsein hätte er mittlerweile, weil er erst einmal schlechte Erfahrungen gemacht habe. Zwar hätte das Mädchen das nie klar so geäußert, aber er sei sich da von Anfang an sicher gewesen, als aus beiden nichts wurde. Alle anderen und auch seine jetzige Freundin reagierten absolut gelassen und cool, als er das Thema offen ansprach. Das würde ja nichts ändern, hätte sie gesagt. Er sei ja der selbe Mensch. Justus glaubt aber auch, dass er nicht nur jedesmal Glück hatte, sondern auch einfach ein gutes Gespür entwickelt hätte.

„Ich suche mir einfach direkt immer die Frauen aus, bei denen ich mir sicher bin, dass sie kein Problem damit haben.“

Ich frage ihn, was er sich von der Gesellschaft im Umgang mit dem Thema Transsexualität wünscht. Er sagt, er sei da zwiegespalten. Zum Einen wünsche er sich mehr Aufklärung durch Medien, durch hochwertige Dokumentationen die das Thema anschaulich aufgreifen und erklären. Dann sei das Thema Transsexualität womöglich weniger besonders und das Wissen der Menschen ausgeprägter, sodass er sich weniger erklären müsse oder man ihm unpassende Fragen zu seiner Sexualität stellen würde. Andererseits wünsche er sich aber auch in gewissen Punkten Unwissenheit, sodass er weniger auffallen würde. So würden ihn bestimmte klassische Narben einer Geschlechtsumwandlung verraten, wenn jemand über das Thema bescheid wüsste. Außerdem, erzählt er mir, empfinden er und andere Transsexuelle den Begriff „Transsexualität“ als absolut unpassend. So würde das Wort „Sex“ suggerieren, dass es sich um eine sexuelle Umwandlung handele. Dabei gehe es doch um die eigene Identität und nicht um eine sexuelle Orientierung. Er sieht diese unpassende Bezeichnung als Grund dafür, das man ihm Fragen stelle wie „Bist du eigentlich lesbisch? Weil du stehst ja auf Frauen“. Justus sagt, viele verstehen gar nicht, dass es um eine identitäre Sache gehe. Und in seiner Identität als Mann würde er nunmal auf Frauen stehen. Da spiele Homosexualität gar keine Rolle. 

Für mich wirkt Justus wie ein 20-jähriger Mann. Für sein Alter ist er sehr aufgeklärt und selbstbewusst. Er ist außergewöhnlich. Aber vor allem deswegen, weil er seinen eigenen Weg geht und das, bemerkenswert gut. 

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