Im hohen Norden Russlands, in Murmansk, fand vom 03. bis 05.Dezember das Deutsch-Russische Medienforum statt. Prof. Dr. Hektor Haarkötter, Fachbereichsleiter Journalismus & Kommunikation an der HMKW Köln, war eingeladen, als Referent über „Journalismus im digitalen Wandel. Berufsverständnis, Storytelling und neue medienethische Standards“ zu sprechen. Daneben gab es viele Gespräche und Diskussionen mit russischen Kolleg/innen aus der Print- und Onlinemedienwelt. Im Rahmen des Programms besuchten wir auch verschiedene Murmansker Medienhäuser. Die Stadt am Nordmeer ist eine der Internethauptstädte Russlands: Kein Wunder, bei annähernde 24 Stunden Dunkelheit im Dezember …
Nachhaltigen Eindruck machte der Vortrag von Ivan Sasurskii, Leiter des Lehrstuhls für neue Medien und Kommunikationstheorien der journalistischen Fakultät der Moskauer Lomonossov Universität. Er beschrieb die Entwicklung der russischen Medien seit der Wende und dem Niedergang der Sowjetunion in düsteren Farben. Es habe nur ein „sehr kurzes Fenster der Freiheit in Russland von 1988 bis 1993“ gegeben. Aber Sasurskiis „Freunde vom Journalismus“ hätten „keinen Gebrauch davon gemacht“: „Das ist eine Tragödie“.
Statt Gerechtigkeit habe man den Markt promotet. Aber die russischen Journalisten hätten alle ihr Handwerk in der Sowjetzeit gelernt und beherrschten darum nur Propaganda. Die Werte von markt und Demokratie seien bankrott gegangen: „Journalisten haben die Verantwrotung vor der Gesellschaft verloren und durch die Verantwortung vor den Eigentümern ihrer Medienhäuser ersetzt“. Das sei besonders problematisch, weil heute 90 Prozent der russischen Medien dem Staat gehörten. Eine staatsferne, gar kritische Berichterstattung sei so gar nicht möglich.
„Ach, wie schön war es in der UdSSR: Wir waren frei. Frei von Wünschen. Diese Freiheit wurde ersetzt durch die Freiheit des Konsums. Unser Planet ist aber nicht geeignet für eine Freiheit des Konsums, das ist auch nur Propaganda“ (Ivan Sasurskii).
Tiefe Einblicke in die russische Journalistenszene vermittelte auch Elisaveta Maetnaya von gazeta.ru, einer der meistgelesenen Online-News-Seiten Russlands. Da die Papierpreise in Russland explodiert und die meisten Druckereien im Besitz von Oligarchen oder des Staates sind, erscheinen kritische Beiträge in Russland heute fast nur noch im Internet. Gazet.ru hat beispielsweise die Anwesenheit regulärer russischer Militärs in der Ost-Ukraine oder das militärische Engagement Russlands in Syrien aufgedeckt. Die besonderen Schwierigkeiten investigativer Recherche in einer „gelenkten Demokratie“ wie Russland machte die engagierte Journalistin sehr deutlich.
Die Besuche bei Murmansker Medienbetrieben fiel entsprechend ernüchternd aus. Der „Murmansker Bote“ etwa verströmt den Charme einer spätstalinistischen Kolchose. Die Arbeitsbedingungen für die Journalist/innen sind vorsintflutlich, der Newsroom macht den Eindruck einer eher zweitklassigen Schülerzeitungsredaktion. Die Redakteur/innen werden vom russischen Staat bezahlt, entsprechend unterausgeprägt ist ihre Bereitschaft, Kritik an den politischen Verhältnissen zu publizieren. Das wurde auch bei mehreren Podiumsdiskussionen und Runden Tischen im Rahmen des Deutsch-Russischen Medienforums deutlich.
Andererseits war eine große Bereitschaft zum offenen Austausch da: Insbesondere handwerkliche Fragen wurden ausgiebig zwischen deutschen und russischen Journalist/innen ausgetauscht. Hier waren die vordringlichen Themen Online- und Datenjournalismus sowie avancierte Recherchemethoden.