Von Wohnungsnot in Großstädten ist in letzter Zeit immer häufiger zu hören. Was können junge Menschen tun, die in ihrer Vergangenheit schon einige Rückschläge erleiden mussten und einfach keine Wohnung finden? Die IN VIA Köln e.V. hilft jungen Frauen auf ihrem Weg in ein selbstständiges Leben, doch das ist ohne eigene Wohnung gar nicht so einfach.
Es ist 14 Uhr. Bereichsleiterin Sabine Reichert vom Jugendwohnen des Vereins IN VIA Köln macht ihren obligatorischen Rundgang durch die Zimmer, während die Bewohnerinnen in der Schule oder bei der Ausbildung sind. „Hier sieht es wieder aus“, sagt sie kopfschüttelnd und blickt in eine Küche, in der zahlreiche benutzte Töpfe, Pfannen und Geschirr gestapelt auf der Anrichte liegen. „Das sind unsere neuen Bewohner, die müssen erst noch lernen, was es heißt, einen Haushalt zu führen“, stellt Reichert fest.
Der Katholische Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit IN VIA hilft jungen Menschen auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Im Teresa-von-Avila-Haus, dem internationalen Jugendwohnheim für junge Frauen im Alter von 16 bis 27 Jahren, werden die Bewohnerinnen bei der beruflichen und schulischen Integration sowie bei der gesellschaftlichen Eingliederung unterstützt. Dort in der Spielmannsgasse, in unmittelbarer Nähe zur Severinstraße, leben zurzeit 28 junge Frauen im sozialpädagogisch begleiteten Jugendwohnen und zwölf in der Regelgruppe Hilfe zur Erziehung. Einige von ihnen kommen wegen Konflikten im Elternhaus zum Jugendwohnheim. Das ist aber nicht der einzige Grund für einen Einzug. Einen Antrag stellen oder vom Jugendamt vorgeschlagen werden kann zum Beispiel auch jemand, der aus der Eifel stammt, in Köln eine Ausbildungsstelle bekommen hat und keine Wohnung findet.
Letzte Station im Hilfesystem
Voraussetzungen für den Einzug in die vom Jugendamt getragene Einrichtung sind die Teilnahme an schulischen oder beruflichen Bildungsmaßnahmen und vor allem der Hilfebedarf bei der gesamten Lebens- und Berufsplanung. Letzteres sei der entscheidende Faktor: „Wir können beispielsweise leider keine Studierenden aufnehmen, die fest mit beiden Beinen im Leben stehen und deren einziges Problem die Wohnungssuche ist“, erklärt Reichert die Aufnahmekriterien.
Das Teresa-von-Avila-Haus soll für die jungen Bewohnerinnen die letzte Station im Hilfesystem sein: „Nach ihrer Zeit hier sollen sie eine eigene Wohnung finden“, betont Reichert. Dabei entscheidet das Jugendamt von Fall zu Fall, ob die Bewohnerinnen bereit für einen Auszug sind. Doch viele junge Frauen stelle das vor eine große Herausforderung: „Für viele ist es schwierig, eine Wohnung zu finden. In einem internationalen Jugendwohnheim leben natürlich auch Bewohnerinnen mit Migrationshintergrund, die uns von Diskriminierungen bei Besichtigungen erzählen“, sagt Reichert.
Um dem entgegenzuwirken, hat das Teresa-von-Avila-Haus ein Training namens „Fit für die eigene Wohnung“ eingeführt. Hier lernen die jungen Frauen unter anderem mit Rollenspielen, wie sie sich bei einer Wohnungsbesichtigung präsentieren müssen, aber auch, ihre Erwartungen runterzuschrauben. „Es ist einfach nicht realistisch, wenn einige sich zum Beispiel nur in der Südstadt bewerben“, stellt Reichert fest.
Mehr sozialer Wohnungsbau nötig
Die wahren Probleme sieht die Bereichsleiterin jedoch woanders: „Die freien Wohnungen sind entweder zu groß oder zu teuer, als dass unsere Zielgruppe eine Chance hätte.“
Dem Verein Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln zufolge werden in der Kölner Innenstadt die höchsten Mieten für neue Wohnungen verlangt. In Nordrhein-Westfalen liegt der durchschnittliche Quadratmeterpreis für eine 60-Quadratmeter-Wohnung bei 7, 12 Euro. In Köln müssen hierfür 11, 24 Euro bezahlt werden.
Dabei sei der Wohnungsmangel in Köln kein neues Thema: „Seit 15 Jahren wird darauf hingewiesen, dass wir bald die Millionengrenze knacken, aber die Stadt tut so, als wäre es jetzt für alle völlig überraschend gewesen, dass auf einmal so viele Menschen hier sind“, regt sich Reichert auf. Sie kritisiert, dass das System ungerechtfertigterweise nicht hinterherkomme und die Stadt im Bereich sozialer Wohnungsbau zu wenig tue.
Circa 6000 Wohnungen müssten pro Jahr neu entstehen, um die Nachfrage zu befriedigen. Von von denen sollten circa 1000 sozial gefördert sein. All das wirkt momentan unerreichbar. Im vergangenen Jahr haben Genossenschaften und Privatleute so wenige Wohnungen gebaut wie seit fast 20 Jahren nicht mehr: Circa 2100 Wohnungen wurden 2017 fertiggestellt, für das Vorjahr waren es 2400. Für die Baugenehmigungen, die die Stadt erteilt, sind die Zahlen ähnlich. Im Jahr 2017 stimmten die Ämter circa 2600 Anträgen zu, im Jahr 2016 waren es circa 3800.
Jürgen Kube vom Amt für Wohnungswesen der Stadt Köln zufolge sieht die städtische Zuständigkeit folgendermaßen aus: Die Stadt kann nicht selbst bauen, sondern nur Mittel zur Verfügung stellen.
Demnach brauche die Stadt ausgewiesenes Bauland und Investoren, die bauen wollen. Das heißt, dass Grundstücke, die sich in städtischer Hand befinden, an Investoren verkauft werden müssen. Als Problem an dieser Stelle sieht Kube, dass die Stadt in Konkurrenz mit anderen Akteuren steht: Wenn sie beispielsweise einem Kleingartenverein Land wegnehme, würde daraus eine politische Diskussion entstehen.
Das Problem mit den nicht erteilten Baugenehmigungen erklärt Kube so: Wolle die Stadt neue Flächen ausweisen, müsse zunächst das Planungsrecht geändert werden. Denn sonst könne einigen Baugenehmigungen nicht zugestimmt werden. Kube betont, dass die Landesbauordnung eigentlich dieses Jahr mit „einigen Erleichterungen“ hätte geändert werden sollen: „Die Entscheidung darüber, dass sie geändert wird, rutscht aber wahrscheinlich ins nächste Jahr.“ Das Planungsrecht zu ändern, dauert also noch.
„Wohnen ist ein Thema, das nicht von kurzfristigen Entscheidungen leben kann“, sagt der Abteilungsleiter abschließend und weist somit den Vorwurf zurück, dass die Stadt zu spät auf die sich anbahnende Wohnungsnot reagiert habe.
Für die Bewohnerinnen des Jugendwohnheims ist dieser langwierige Prozess ein Nachteil. Die jetzige Situation könne nach Angaben von Reichert einen enormen Rückschlag für die jungen Frauen bedeuten: Gerade noch von der IN VIA den Rücken gestärkt bekommen, würden sie jetzt mit einem Auszug oftmals vor der Obdachlosigkeit stehen und damit in die nächste Krise schlittern. Da bleibe für viele nur die Möglichkeit, zurück ins Elternhaus zu kehren. Das bedeute aber eine erneute Abhängigkeit, die die IN VIA mit ihren Grundsätzen eigentlich verhindern will, stellt Reichert das Dilemma dar.
Nach dem Prüfrundgang durch die Räume des Teresa-von-Avila-Haus steht für die Wohnbereichsleiterin die Themenvorbereitung für das nächste „Fit für die eigene Wohnung“-Training auf der To-Do-Liste. „Wir können nichts weiter tun, als die Kompetenzen der Bewohnerinnen zu stärken und zu hoffen, dass sich die Situation verbessert“, gibt Reichert resigniert zu und vertieft sich in ihre Arbeit.
Text: Merve Polat