Vor etwa zwei Jahren wurde in Köln am Hansaring eine Studentin nachts im Park vergewaltigt. Dies geschah ein dreiviertel Jahr nach der berüchtigten Silvesternacht, in der zahlreiche Frauen sexuell belästigt wurden. Damals herrschte eine gewisse Unsicherheit in der Stadt.Doch wie ist die Stimmung unter den Kölnerinnen heute? Ein Rundgang durch verschiedene Kölner Viertel soll Aufschluss darüber bringen.
Los geht es am Kölnberg, Meschenich, an einem der schlimmsten sozialen Brennpunkte Deutschlands.
Kölnberg – Eine vergessene Welt am Rande der Stadt
Es ist 13 Uhr als Bettina*, Mitarbeiterin des mybet-Wettbüros, Mittagspause macht. Sie ist eine hübsche, galante junge Frau mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. Bei ihr ist der Kontrast zum Viertel daher besonders stark. Als sie aus dem Geschäft tritt, steht sie inmitten eines der berüchtigtsten Plattenbau-Ghettos Deutschlands.
Das ist nicht der offizielle Name, aber unter den Kölnern nennt man die Siedlung so. Der Hochhauskomplex integriert neun Gebäude im äußeren, südlichen Kölner Stadtteil Meschenich. Hier wohnen circa 4000 Menschen aus über 70 Nationen.
Gegenüber vom Kölnberg, direkt auf der anderen Straßenseite, stehen zahlreiche Einfamilienhäuser mit hübschen Vorgärten. Doch inmitten dieser Vorstadtidylle erhebt sich der gewaltige Plattenbau meterhoch über den Rest des Viertels. An diesem Ort steht die Zeit still. Hier leben die Menschen für sich. Es gibt eigene Cafés, Spielplätze, Bäckereien und Apotheken- und sogar eine eigene Polizeiwache. Dies ist in diesem Viertel auch nötig, da die Kriminalitätsrate hier sehr hoch ist. Drogenmissbrauch, Gewalt und Arbeitslosigkeit gehören zum Alltag.
Zwischen einem Kiosk und einer türkischen Bäckerei vor dem Hochhaus Nummer „zwei“ ist das Wettbüro, in dem Bettina arbeitet. Gegenüber, auf einer kleinen Mauer, sitzt eine junge Mutter mit ihrem Kleinkind. Bettina geht freundlich auf sie zu, begrüßt das Kind und gesellt sich zu den beiden. Um die Frauen herum sitzen zahlreiche Männergruppen aus unterschiedlichen Nationen. Hinter ihnen betritt eine Gruppe von Polizisten das Hochhaus „zwei“. Gegenüber, am Hochhaus Nummer „fünf“, werden Polizeikontrollen durchgeführt. Daneben betrinken sich die ersten Personengruppen. Mittags, um kurz nach eins.
Die zwei Frauen und das Kind nehmen das alles gar nicht wahr. Für sie scheint das normal zu sein. Sie sind unter sich, tief in ein amüsantes Gespräch verwickelt. Dazu spielen sie mit dem Kind und lachen gemeinsam. „Alle stellen sich das Leben am Kölnberg für eine Frau hart vor, doch so schlimm ist es nicht. Du wirst in Ruhe gelassen. Keiner belästigt dich“, berichtet Sarah*, die junge Mutter. Sie lebt schon seit 26 Jahren am Kölnberg, also fast ihr ganzes Leben. Bettina lebt dagegen in Hürth, arbeitet aber schon seit über 10 Jahren in dem Shop im Problemviertel. „Es ist ein großer Unterschied, ob du hier aufgewachsen oder nur zu Besuch bist. Wir haben keine Angst, wir kennen es auch gar nicht anders und sind daher selbstbewusst. Menschen von außerhalb haben ein ungutes Gefühl, wenn sie an diesem Ort sind. Das merken die, die hier wohnen und nur damit bietest du eine Angriffsfläche“, erklärt die Mitarbeiterin des Wettbüros. „Nachts sieht es am Kölnberg natürlich anders aus, dann treiben sich viele Junkies auf den Plätzen herum, aber auch die lassen dich in der Regel in Ruhe. Du brauchst ein dickes Fell, dann kommst du mit den Menschen hier zurecht“, fügt Sarah hinzu.
Sülz – Die Blüte der Stadt
Im Gegensatz zum Kölnberg, wo Menschen nur hinziehen, wenn die sozialen Umstände keinen anderen Wohnsitz mehr erlauben, ist das Viertel Sülz ein sehr beliebtes Wohngebiet. Dort ist es ruhig, sicher und attraktiv. Kimmy, 24 Jahre, lebt seit sieben Wochen in Sülz und liebt ihr neues Zuhause. Sie ist Studentin und hat sehr viel Glück gehabt, eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus zu finden.
„Ich fühle mich in Sülz wohl. Ich habe vorher im Dorf gelebt. Dort hatte ich nachts alleine auf den Straßen Angst. Seitdem ich in Sülz wohne, kenne ich das Gefühl nicht mehr. Ich kann hier im Dunkeln ohne Angst durch die Straßen laufen. Egal zu welcher Stunde, es sind immer ein paar Menschen unterwegs. Ich fühle mich dadurch nie alleine und unsicher“, schwärmt Kimmy. Tabea, 23 Jahre, sieht es auch so. Sie wohnt zwar in Hürth, arbeitet aber seit knapp einem Jahr in einer Grundschule in Sülz.
„Hier leben offene und freundliche Menschen. Durch meinen Beruf ist mir aufgefallen, dass hier wenig sozial schwache Familien wohnen. Ich würde Sülz als ein gehobeneres Viertel beschreiben, da die Mieten nicht günstig sind. Zum einen ist das Viertel durch den angrenzenden äußeren Grüngürtel und den Beethovenpark ruhig und dadurch gut geeignet für Familien. Zum anderen ist Sülz zentral, und grenzt an Viertel wie Ehrenfeld oder Zollstock, was es wiederum beliebt für Studenten macht. Nachts ist es hier auch angenehm, da es kaum Kneipen gibt, vor denen angetrunkene Personengruppen lungern“, bestätigt Tabea.
Ehrenfeld – Hip und multikulturell
An Sülz grenzt das Viertel Ehrenfeld. Früher war es ein großes Arbeiter -und Industrieviertel, heute ist es super angesagt. Es gibt zahlreiche Szeneclubs und Bars. Die Mietpreise steigen und wer es sich als Student leisten kann, versucht in Ehrenfeld zu wohnen. Studentin Tammi, 19 Jahre, lebt auch hier. „Der Stadtteil ist hip, es gibt nur coole Bars, coole Menschen oder coole Familien. Bisher habe ich keine negativen Erfahrungen gesammelt. Nachts, wenn ich vom Feiern komme, fühle ich mich sicher. Die Menschen auf den Straßen lassen mich in Ruhe. Ehrenfeld ist für eine Frau ein entspanntes Viertel“, erzählt Tammi. Auch Marlene, 23 Jahre, bestätigt den Eindruck. Sie fühlt sich wohl in Ehrenfeld und hatte selbst noch keine kuriose Begegnung auf der Straße.
Innenstadt – Mit Vorsicht zu genießen
Wohnen in der Kölner Innenstadt ist nicht günstig. Doch durch die zentrale Lage ist das Viertel beliebt. Tagsüber schlendern zahlreiche Menschen durch die Fußgängerzone und der Neumarkt ist überfüllt. Der Rudolfplatz lädt abends ein, in schöner Atmosphäre ein Glas Wein zu trinken. Wer dann noch nicht müde ist, kann Richtung Hansaring und Ebertplatz laufen. Hier reiht sich ein Club an den anderen. Doch dort, wo viel Alkohol getrunken und gefeiert wird, warten auf Frauen auch gerne mal kuriose Begegnungen.
Johanna, 20 Jahre, wohnt in der Nähe des Neumarkts. „Nachts ist es dort besonders schlimm. Ich wurde zum Glück noch nie konkret angesprochen, aber Distanz wird auch nicht bewahrt. Betrunkene kommen gerne näher. Ich habe einfach ein ungutes Gefühl und gehe aus dem Grund immer mit einer Freundin nach Hause“, berichtet Johanna. Leonie, 25 Jahre, lebt am Ebertplatz, im Norden der Kölner Innenstadt. Sie fühlt sich dort wohl, erklärt jedoch, dass sie nachts auf der Straße besonders aufmerksam sein muss.
„Mich sprechen die Menschen am Ebertplatz häufig konkret an. Meistens sind das Drogenhändler, die ihren Stoff loswerden wollen. Aber ich weiß, wie ich damit umzugehen habe. Ich versuche immer selbstbewusst durch die Straßen zu laufen. Das heißt, sich nicht klein machen, nicht auf den Boden schauen und nicht mit Angst durchlaufen. Für mich hat es sich bewährt, den Menschen direkt in die Augen zu schauen und zu zeigen: Hey ich nehme dich wahr. In der Regel fragen die Händler auch nur einmal, ob du etwas kaufen möchtest und akzeptieren ein ,Nein‘“, erklärt Leonie.
Kölnberg – Man kommt klar
Nochmal zurück zum Kölnberg: Gegenüber dem Wettbüro, in Blickrichtung von Bettina und Sarah, steht das Hochhaus „fünf“, der höchste Komplex am Kölnberg. Vor dem Eingang sitzen einige Personen und unterhalten sich angeregt. Darunter auch Daniela und ihre Familie. Daniela ist 31 Jahre und am Kölnberg im Hochhaus „zwei“, Block „sechs“ aufgewachsen.
Vor acht Jahren ist sie vom Kölnberg weggezogen, aber ihre Mutter lebt noch dort. Trotz des Umzugs fühlt sich Daniela dem Viertel noch sehr verbunden. Auch wenn sie nicht ihre Familie besucht, ist sie einmal die Woche am Kölnberg. Sie unterstützt die Tafel und begleitet die Essensausgabe Mittwochnachmittag. Sie ist sehr direkt, aber auch freundlich und geht sehr liebevoll mit den Menschen vom Kölnberg um. „Ich kenne die Leute hier. Im Endeffekt kennt hier jeder jeden. Dadurch, dass ich hier aufgewachsen bin, weiß ich auch, wie ich die Menschen zu nehmen habe. Vor allem als Frau muss ich direkt sein. Wer frech wird, bekommt eine freche Antwort zurück. So einfach ist das. Und auch nur so wird man als Frau in Ruhe gelassen. Natürlich wurde ich hier auch schon angemacht, aber dann bekommen diejenigen direkt eine unfreundliche Reaktion und damit hat es sich. Von schlimmen Vorfällen kann ich nicht berichten, ich habe noch nie von einer Vergewaltigung hier gehört. Trotzdem würde ich meine Freunde und Familie nicht an den Kölnberg bringen. Die Gegend ist nichts für Familien, vor allem nichts für Kinder. Auf jedem Spielplatz findet man Spritzen von Junkies.
Doch als Frau kommt man hier zurecht, solange man ein dickes Fell hat und nicht ängstlich ist“, berichtet Daniela, bevor sie sich wieder zu ihrer Mutter setzt und mit ihr und anderen Bewohner des Kölnbergs über lustige Geschichten aus vergangenen Tagen spricht.
Die Stadt hat sich von den Ereignissen erholt
Der Rundgang durch verschiedene Viertel zeigt, dass es Frauen gibt, die keine Angst haben. Sogar Frauen wie Sarah und Daniela, die in einem Problemviertel aufgewachsen sind, fühlen sich nicht unsicher. Sie sind selbstbewusst und haben ein dickes Fell. Damit bieten sie keine Angriffsfläche. Wer sich klein macht und verängstigt auf den Boden schaut, läuft eher Gefahr, unangenehm angesprochen zu werden. Natürlich muss man als Frau immer vorsichtig und aufmerksam sein, eine selbstbewusste Haltung allein reicht nicht aus – aber sie erhöht auf jeden Fall unsere Chancen, in Ruhe gelassen zu werden.
*Name von der Redaktion geändert
Ein hochinteressanter Artikel. Ich bin erst vor wenigen Monaten nach Köln gezogen, hatte davor aber die Geschichte vom Sylvester gehört. Als ich dieses Jahr Sylvester hier mit meiner Freundin gefeiert habe, war ich zunächst auch etwas angespannt, wenn ich mit ihr durch die Strassen lief. Ich kenne Köln selber noch nicht so gut. Nachdem ich das hier gelesen habe, werfe ich nun ein neuen Blick auf die Stadt- ein hoffnungsvolles. Ich denke, man hat hier aus den vergangenen Vorfällen gelernt. Es ist schön, dass Frauen jetzt wieder selbstsicher durch die verschiedenen Vierteln laufen können! Insgesamt eine schöne Reportage, ich fühlte mich beim Lesen in den angesprochenen Vierteln versetzt, speziell beim Kölnberg. Weiter so!