Hinger dr Britz im Hänneschen-Theater

Die Gässchen in Knollendorf sind menschenleer. Die Straßenlaternen spenden keinerlei Licht. Die Lädchen sind geschlossen. „Hinger dr Britz“ im Hänneschen-Theater am Eisenmarkt ist Mittagspause. Hinter der Bühne ist es kühl und dunkel. Bis zu vier Kilo schwere Puppen und Requisiten warten am Rand auf ihren nächsten Auftritt. Die Instrumente sind spielbereit und die Bühnenbilder hängen fest verankert in ihren Scharnieren an der Decke.

Die Puppen am Rande der Bühne

Neben den Puppen stehen Kutschen und Vögel auf dünnen Metallstäben, damit sie über die Bühne „fliegen“ können. Seit 1802 ist das die 17. Bühnenstation des Hänneschen-Theaters im Martinsviertel. Tag für Tag lüftet sich der Vorhang, der fiktiven Stadt Knollendorf, für die Besucher und bringt sie alle zum Lachen. Die Veedelgeschichten berühren und amüsieren. 

Vom Logistiker zum glücklichen Puppenspieler 

Michael Danz und Tünnes

Michael Danz ist seit Februar 2018 festes Mitglied im Ensemble des Hänneschen-Theaters in der Kölner Altstadt. Er hat die Nachfolge von Hans Fey angetreten, der weit mehr als 30 Jahre den Mählwurms Pitter spielte. Neben dem Mählwurms Pitter, dem Wirt der Stammkneipe in Knollendorf, spielt Danz auch Besteva, den Großvater vom Hänneschen. Michael Danz nutze im Februar letzten Jahres die einmalige Chance: Endlich raus aus der Logistik Branche und Puppenspieler im Hänneschen Theater werden. „Die Bewerbung habe ich natürlich auf Kölsch geschrieben, wie sich das gehört.“, erzählt Michael Danz. Die Einladung zum Vorsprechen ließ nicht lange auf sich warten und das Ensemble hat sich noch am nächsten Tag für ihn als Nachfolger entschieden. Michael Danz erzählt, dass die anderen zwar singen konnten, aber „keiner kunt Kölsch“. Der gebürtige Südstädter trägt ein Chlodwigplatz T-Shirt und erzählt weiter grinsend: „Ich habe mich dann auf die Bank vor dem Theater gesetzt und geheult wie ein kleines Kind.“ Michael Danz durfte sein Hobby zum Beruf machen, für ihn ist es eine Ehre im Hänneschen Theater spielen zu dürfen. Die Kölsche Sprache war schon immer sein Hobby.

Auch die Puppen müssen in die Maske

Eine Puppe wird neu geschminkt

Bevor Besteva, der Großvater von Hänneschen, auf die Bühne darf, muss er noch mal in die Maske. In dem stickigen und hellen Raum reihen sich unzählige Kostümchen auf. Sie sind feinsäuberlich hinter den Glastüren sortiert. „Über 10.000 Kostüme, 750 Köpfe und 300 Körper sind in der Puppenwerkstatt gelagert“, erzählt Michael Danz stolz.

Die Fernsehköche und der Präsident

Darunter auch Prominenz: hinter den Glasfenstern grinsen die Fernsehköche Johann Lafer und Horst Lichter und nebenan schaut Donald Trump grimmig aus dem Regal.

Das nackte Hänneschen

Zwischen Farben, Pinseln, Nadeln und Fäden stehen Puppen für das kommende Stück im September. Nackte Puppen offenbaren ihren Körperbau. Danz erklärt: „Die Körperteile aus Lindenholz werden durch dicke Bänder, ähnlich wie Rollladengurte, zusammengehalten.“ Jedes Ensemblemitglied geht einer Nebentätigkeit nach. Michael Danz kümmert sich um die Reparatur der Puppen. „In den letzten anderthalb Jahren habe ich nur 10-15 Puppen flicken müssen“. Die Puppen sind also sehr robust. Die Schminke sitzt, das Kostüm passt, Besteva ist bereit für den Auftritt. 

Fläscheposs für das Hänneschen 

Der hölzerne Saal im Hänneschen-Theater

Die Bühne ist dunkel, rötliches Licht strahlt vom gleichfarbigen Vorhang sanft in den Saal. Das Publikum, vor allem Kinder, tuscheln aufgeregt auf den hölzernen Bänken. „Fläscheposs“ beginnt in wenigen Minuten. Das Kinderstück ist das Pendant zu dem Erwachsenenstück  „Farina“. Zwei der sechs Produktionen des Hänneschen Theaters pro Jahr. Die Anfänge des berühmten „Eau de Cologne“ sollen in beiden Stücken erzählt werden. Ein Gong ertönt, der Saal verstummt, Hänneschen betritt die Bühne. Er spricht hochdeutsch, überraschend, wenn man bedenkt, dass das Theater für die Kölsche Sprache bekannt ist. Doch zu früh gewundert. Hänneschen erklärt den Zuschauern nur die Basics des Kölschen Akzents und bittet alle, ihre Handys auszuschalten. Der erste Akt wird mit Gesang eingeläutet. Die Vögel wackeln, oder besser gesagt, fliegen über die Bühne, ein Schiff fährt vorbei. Hänneschen und Bärbelchen treten auf. „Damit die Puppen nicht leblos aussehen, dürfen die Stäbe nicht den Boden berühren, das geht ganz schön auf die Nackenmuskulatur“, erzählt Michael Danz. Jetzt ist erkennbar was er vor dem Stück zu erklären versuchte, die Puppen sehen erschreckend lebendig aus. Das Stück handelt von Hänneschen der ein Schulaufsatz über die Entstehung des Parfüms schreiben soll, aber keiner der Bewohner kennt sich damit aus. Plötzlich findet Hänneschen eine Flaschenpost im Wasser. „Woröm müssen die Lück eijentlich alles in e Wasser wirfe…dat kann mer doch och öntlich fott schmiesse“, ertönt Bärbelchens Stimme. Das Publikum lacht. Ob die Passage auf das Thema Nachhaltigkeit anspricht, bleibt offen, ebenfalls, ob noch mehr Leuten die Anspielung aufgefallen ist. In der Flaschenpost befindet sich ein Flaschengeist, der Hänneschen helfen kann. Eine Reise durch die abenteuerliche Kölner Parfümgeschichte beginnt. Sie ist gespickt mit unzähligen Lachern und aufregenden Ereignissen, begleitet von Musik und Gesang, in vier Akten. Spoiler: Hänneschen schafft es am Ende den tollsten Aufsatz zu schreiben, seine Lehrerin ist entzückt. Die Zuschauer sind begeistert, es gibt tosenden Applaus. Das Stück ist zu Ende. Bis auf den preußischen Polizisten, sprechen alle Bewohner Knollendorfs aus-gezeichnetes Kölsch. Zumindest für Zuschauer, die nicht aus Köln kommen. „Ur-Kölner sind auch durchaus mal kritisch. Ab und an wird auch hinter den Kulissen darüber diskutiert, wie ein Wort in Kölsch richtig ausgesprochen wird.“, erklärt Michael Danz.  

Die „Schminke“ der hölzernen Puppen

Die Detail-versessenheit des Stücks ist beeindruckend. Ob Requisiten Gestaltung, Aufmachung der Puppen oder die Diskussion um die richtige Aussprache des kölschen Akzents, beim Hänneschen-Theater wird darauf geachtet, dass alles perfekt aussieht und läuft.

„Hinger der Britz“

Neben Michael Danz, der in diesem Stück Besteva und eine andere Nebenfigur gespielt hat, sind 13 weitere Puppenspieler hinter der Bühne. „Wenn jemand gerade nicht spielt, lässt er Vögel durch die Gegend fliegen, reicht den Spielern Puppen an oder kümmert sich um etwas anderes.

Die hängenden Kulissen

Hier steht während des Stücks keiner rum.“, erzählt Danz. Neben den Puppenspielern begleiten fünf Live Musiker und 20 Puppen, davon allein vier Hänneschen, das Kinderstück. Die unter 1,80m großen Puppenspieler haben keine Zeit die Puppen während des Stücks umzuziehen, also müssen einfach mehrere, mit verschiedenen Kostümen, angefertigt werden. Unter 1,80m, weil die Köpfe der Puppenspieler nicht über der Bühne herausragen sollten, die ist nämlich nur 1,80m hoch. Die wunderschön bemalten Kulissen hängen an Scharnieren von der Decke. Sie sind somit leicht beweglich und austauschbar, da sie nach jedem Akt gewechselt werden müssen. „Die älteste Kulisse, die ich bisher entdeckt habe, ist von 1968.“ erzählt Michael Danz aufgeregt. „Mal sehen, ob ich irgendwann eine noch ältere finde.“ Über 50 Jahre alte Kulissen beweisen, wie ordentlich und gewissenhaft im Hänneschen-Theater gearbeitet wird. Hier gilt ganz klar: Qualität vor Quantität. Das gilt auch für die Stücke. Geschrieben werden die nämlich fast ausschließlich vom Ensemble und der Intendanz selbst. „Unser stellvertretender Intendant Uwe Müller ist ein hervorragender Stückeschreiber, der auch das aktuelle Stück „Farina“ und das kommende Stück „Offenbach“ geschrieben hat, die teilweise drei Stunden gehen. Die schreibt er einfach hervorragend.“, so Danz. Selten kommt es vor, dass jemand von außerhalb ein Stück schreibt. Die Leute kennen sich meist zu wenig mit dem Theater aus. „Da gibt es oft Schwierigkeiten bei der Umsetzung auf der Bühne. Die meisten wissen nicht, was man auf einer Puppenbühne veranstalten kann. Hänneschen kann nicht einfach aus dem Fenster springen.“ 

Wä en Kölle es jebore, hät e Räch  si Levve lang frei ze sin un frei ze odme jede Minsch ne freie Mann.“

Michael Danz kennt sich trotz seiner erst kurzen Zeit am Hänneschen-Theater unfassbar gut aus. Mit kontinuierlicher Begeisterung, berichtet er von seiner Arbeit und den Abläufen im Theater. Schon als Kind tauchte er mit seinen Eltern in die Welt des kleinen Hänneschen ein, dann mit seinem Sohn und jetzt darf er selbst mitspielen. Auf die Frage, ob er je noch mal woanders arbeiten möchte ruft er laut „NEIN!“ und lacht, „Ich bleibe hier“. Er zitiert eine Zeile aus dem Song der Band „Schlacht bei Worringen“ von der Band „Bäck Fööss“, die seine Situation nicht besser beschreiben könnte: „Wä en Kölle es jebore, hät e Räch  si Levve lang frei ze sin un frei ze odme jede Minsch ne freie Mann“

Die Puppe Jaque Offenbach für das kommende Stück

Jetzt geht es für Michael Danz erst mal auf Europa Tour mit seinem Camper, um Texte zu lernen und den Urlaub zu genießen. Ab dem 31.08 startet dann schon wieder das Stück „Offenbach – Zwesche Kölle un Paris“. 

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