Ehrenfeld und die Schokoladenfabrik

Die ehemalige Schokoladenfabrik in Ehrenfeld ist den jüngeren Generationen kaum noch bekannt, gehört aber zu den kulturell wichtigsten Orten des Viertels. Ich habe mich umgesehen und habe dabei einen Anwohner getroffen, der seit seiner Geburt hier wohnt und mir Erinnerungen aus seiner Kindheit erzählen konnte.  Eine Geschichte von Köln, seiner Industriekultur und jeder Menge Schokolade.

Es ist ruhig an diesem Mittag in Ehrenfeld. Etwas abseits von der Venloer Straße, wo sich Autos, Radfahrer und Passanten tummeln, hört man nichts vom Lärm. Auf dem Spielplatz in der Roßstraße tollen Kinder im Sand rum, spielen lachend auf dem Schaukelpferd. Sie laufen begeistert über den Platz, um den herum ein kleiner Park liegt. Vor ihnen erstrecken sich rote Backsteinbauten. Die Vorderseite ist hinter Bäumen versteckt, wer da vorbeiläuft, bemerkt es kaum. Vom Spielplatz aus kann man ein gewaltiges Wandgemälde des Gebäudes bestaunen: eine Abbildung von dem, was hier früher mal war: eine Brauerei und eine Schokoladenfabrik.

Winfrieds Lieblingsbeschäftigung: von der Bank aus den Kindern zuschauen
Auf dem Wandgemälde ist die Fabrik zu sehen, wie sie in früheren Zeiten aussah

Ein paar Meter weiter sitzt ein alter Mann auf einer Bank. Winfried ist 92 und hat sein ganzes Leben in Ehrenfeld verbracht. Er kennt dieses Viertel wie seine Westentasche. Trotz seines hohen Alters ist Winfried noch ziemlich fit im Kopf, ähnlich den jungen Bürschchen, die vor seinen Augen spielen. Ein willkommener Anblick für ihn: „Es macht mir immer Spaß, Kindern beim Spielen zuzuschauen“, sagt er. Zwischendurch schweift sein Blick zu dem großen Backsteingebäude in der Roßstraße 12 hinüber. Hier befindet sich die ehemalige Schokoladenfabrik Ehrenfelds. Der Komplex ist seit Juli 1980 denkmalgeschützt. Dort, wo der Spielplatz heute liegt, befand sich früher der Hinterhof. Immer wieder wurde das Gebäude zu verschiedenen Zwecken genutzt, mal eine Brauerei, mal eine Schokoladenfabrik oder auch ein Atelier für Künstler. Geblieben ist aber die Tatsache: Es ist ein wichtiger Teil der Industriegeschichte Ehrenfelds.

„Nougat war meine Schwachstelle“

Winfried kann sich noch gut an die alten Zeiten erinnern, insbesondere an die Schokoladenfabrik. Schließlich war sie zu seiner Zeit allen Kindern bekannt: „Hier konnten wir unsere Schokolade kaufen. Wir hatten zwar nicht viel, aber ab und zu konnten wir uns welche gönnen“, erzählt er. Was würden die Kinder heute staunen, wenn sie das wüssten: Eine Schokoladenfabrik, mitten im Veedel! Man sieht Winfried an, es sind schöne Erinnerungen. Ursprünglich befand sich an der Roßstraße die Rhenania-Brauerei, 1890 von Jacob Wahlen erbaut. Dessen Sohn Johann wurde ebenfalls zu einem entscheidenden Akteur bei der Industrialisierung des Viertels. Er gab unter anderem das Grundstück des Bahnhofs Ehrenfeld frei. Ende der Zwanziger wurde die Brauerei schließlich von der niederländisch-belgischen Firma Kwatta aufgekauft, es entstand die „Deutsche Kwatta – Kakao- und Schokoladenfabrik“. Diverse Schokoladenarten wurden dort über die Jahrzehnte produziert. „Nougat war meine Schwachstelle“, gibt Winfried spitzbübisch zu.

So hieß sie in früheren Tagen: die Kwatta-Schokoladenfabrik

Von der Fabrik zum Place-to-be für Künstler

1964 schloss dann die Schokoladenfabrik. Ungenutzt blieben die Gebäude nicht: Nur wenige Jahre später begannen Künstler, sich dort niederzulassen. Sie bauten unter anderem ihre Ateliers auf, manchmal wohnten sie dort sogar. „So wie die Berliner ihren Prenzlauer Berg haben, so gab es die Fabrik als Versammlungsort für Künstler“, sagt Winfried. In den 80ern riss man manche Teile des Komplexes ab, sie waren inzwischen nicht mehr brauchbar. Der rote, zweistöckige Putzbau, der das Herz der Fabrik bildete, wurde an eine Eigentümergemeinschaft verkauft;  der sandfarbene Backsteinturm, der sich hoch über das Gebäude erhebt, blieb als Künstlerwerkstatt bestehen.

Der Putzbau und sein Fabrikturm

    

Unterhalb des Spielplatzes befindet sich zudem ein weiterer Teil des Komplexes: ein riesiger Gewölbekeller, über 1.000 Quadratmeter groß. Anders als die Gebäudeteile oberhalb liegt dieser jedoch allein da. Es gab zahlreiche Ideen, ihm einen neuen Zweck zu verleihen, etwa als Ausstellungsraum oder als Tiefgarage. 2003 entschied sich die Stadt Köln, den Keller zu verkaufen. Die Anwohner wehrten sich dagegen, auch weil die Gefahr bestand, dass der anliegende Park dadurch wieder bebaut werden könnte. Auch Winfried war nicht einverstanden: „Ich mag diesen Park sehr, ich will nicht, dass er zerstört wird. Und wo sollen die Kinder spielen?“ Aus dem Projekt wurde letztlich nichts, der Spielplatz blieb bestehen – und der Keller weiterhin leer.

Winfried macht sich nun auf dem Weg zurück nach Hause. Unser Gespräch hat ihn doch etwas ermüdet. „Eine Tasse Tee und ein kleines Nachmittagsschläfchen“, so lautet sein Programm für den Rest des Tages. Morgen wird er wieder auf seiner Parkbank sitzen und mit leicht verträumten Blick auf die Fabrik und die spielenden Kinder schauen. Ein Tag wie alle anderen für ihn – manche Dinge ändern sich eben nicht.

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