Performancekünstler. Systemkritiker. Aufsehenerreger.
Santiago Sierra ist einer der Künstler, um die man bei der diesjährigen ART COLOGNE nicht herum kommt. Schon weil sein gewaltiges Werk mit dem Titel „483 Stunden Arbeit“ das gesamte Entree der Messe schmückt. Es handelt sich dabei um einen 400×400 Zentimeter großen, schwarz gestrichenen Zementkubus. 483 Stunden. So lange hat es gedauert, den Kubus herzustellen. Sierra möchte auf diese Weise auf die skurrilen Mühen der Kunst aufmerksam machen. Viele, viele Stunden Arbeit für einen schwarzen, zu nichts zu gebrauchenden Klotz.
Zur Eröffnung der Biennale in Venedig ließ Sierra 2003 den Pavillon Spaniens zumauern und durch Pförtner bewachen. Gegen Vorlage des Passes durften Besucher das völlig leere Gebäude betreten. Eindrucksvoll stellte er so seine Sichtweise auf den Umgang mit Migranten dar.
Immer wieder macht er durch anstößige Aktionen auf sich aufmerksam. So ließ er beispielsweise Männer gegen Geld masturbieren und dokumentierte das Geschehen filmisch. Ein anderes Mal ließ er sechs kubanischen Männern eine schwarze Linie auf den Rücken tätowieren und bezahlte ihnen jeweils 60 Dollar dafür. Sie waren allesamt drogenabhängig, perspektivlos und dankbar für den rentablen Arbeitstag, der ihnen ein Monatsgehalt bescherte. Sierra wollte damit zeigen, wozu Menschen sich für Geld bereiterklären lassen: „Menschen sind Gegenstände des Staates und des Kapitals und werden auch so behandelt. Genau das versuche ich zu zeigen.“
Besonders polarisierte er 2006, als er die Synagoge in Stommeln bei Köln symbolisch zu einer Gaskammer umfunktionierte, indem er die Abgase von sechs Autos hineinleitete. Seine eigentliche Intention galt dem Entgegentreten der Banalisierung des Erinnerns an den Holocaust. Der Zentralrat der Juden in Deutschland rügte die Aktion jedoch messerscharf als „niveaulos“ und als „Beleidigung für die Opfer.“ Genau diese Systemkritik ist es allerdings, die ihn so berühmt werden ließ.
Sein Galerist Thomas Zander war von Sierras Kunst sofort hellauf begeistert. Als ehemaliger Unternehmensberater weiß er, dass gute Kommunikation alles ist. „Künstler, die für ihre Kritteleien stehen, brauchen eben auch Negativ-Schlagzeilen. Meiner Meinung nach macht er alles richtig. Er regt zum Nachdenken an und öffnet den Menschen die Augen.“
Eine große Ausstellung zum Künstler ist noch bis zum 6. Juni in der Thomas Zander Galerie zu bestaunen.
Thomas Zander Galerie
Schönhauserstraße 8
50968 Köln
Autorin: Hanna Selke