Eine Frage, die ich mir auf Kunstmessen und generell im Dunstkreis von selbsternannten und gelegentlich wichtigtuerischen Kunstkennern stets stelle ist diese: Wie würden sie auf ein Kunstwerk reagieren, das keins ist? Wie viel Expertengeschwafel kann ich aus Besuchern der ART COLOGNE quetschen, wenn ich ihnen einen Haufen Müll präsentiere und als seriöser Pressevertreter versuche, ihnen besagtes Arrangement als wichtiges Werk der Neuzeit zu verkaufen? Ein Protokoll.
Los geht’s!
Ein kurzer Blick auf die Uhr: Donnerstag, erster Besuchertag der 50. ART COLOGNE. 13:43 Uhr. Zur Vorbereitung auf meinen unsäglichen Geniestreich – zumindest halte ich es für einen solchen – habe ich mir ein täuschend echtes Galeriekärtchen ausgedruckt, das die Seriosität meiner Müllkunst unterstreichen soll. „Wegwerfgesellschaft“ heißt das Werk, denn – das habe ich auf der Messe gelernt – Gesellschaftskritik zieht immer. Beste Voraussetzungen also, meine kleine Guerillaaktion zu starten.
Es ist angerichtet
Auf meinem Weg durch die großen Hallen der Koelnmesse, deren Gänge samt und sonders von hochpreisigen Exponaten diverser angesehener Galerien gesäumt sind, halte ich Ausschau. Etwas Originelles muss es sein. Etwas künstlerisch avantgardistisches. Etwas besonderes! Um 14:30 Uhr finde ich genau das: Einen angebissenen Apfel in einem Pappbecher. Mit meinem Kollegen Marius, der mir unterstützend beim Feldversuch zur Seite steht, arrangiere ich das Objekt samt einer leeren Flasche und etwas Zeitung in eine äußerst ausdrucksstarke Komposition.
Nun steht Warten auf dem Plan. In ausreichendem Abstand zum Werk beobachte ich. Ein Großteil der Besucher geht vorbei, nichtahnend, welch wertvollen Anblick sie verpassen. Gegen 14:51 Uhr schließlich: Volltreffer. Ein etwas stämmigerer Herr im Anzug nähert sich der Installation. Er blickt hin, liest das Schildchen und – setzt sich einfach daneben. Ein Frevel! In angesehenen Galerien hätte das zum unweigerlichen Rauschmiss geführt! Aber gut. Ich bringe meine Empörung wieder unter Kontrolle und beschließe ein aggressiveres Vorgehen. Ich muss den Leuten meine Kunst selbst nahebringen und sie dazu befragen.
Mäßiger Erfolg
Ein Pärchen schlendert vorbei und mit Block, Stift und Presselanyard im Anschlag feuere ich ihnen meine Frage um die Ohren. Ein kurzer Blick der Frau zum Kunstwerk. Es folgt eine ausführliche Interpretation meiner Komposition. „Vergänglichkeit würde ich sagen. Der Apfel beginnt schon seinen Verfall, während die Zeitung morgen schon nicht mehr aktuell ist. Generell wirkt die ganze Art und Weise der Darstellung sehr poetisch“. Beflügelt von dieser ausführlichen Erklärung meines Haufen Mülls nicke ich begeistert und schreibe fleißig mit, bis die Dame mir am Ende ihrer Ausführungen zuzwinkert und ein „Das waren aber Sie, oder?“ meinen Traum der unterminierten Kunstszene platzen lässt. Schade. Aber vielleicht nennen sich Kunstkenner wirklich zurecht so.
(Bilder & Text von Christian Greiner)