Ein Tag im Vorstadt-Ghetto
Wie jede große Stadt hat Köln schöne Gebiete – und notwendige. Eines davon ist der Kölnberg. Notwendig, weil hier viele Menschen wohnen, die sich die „besseren“ Viertel nicht leisten können.
Meschenich hat 7934 Einwohner (Stadt Köln 2017). Aber: Meschenich ist nicht gleich Kölnberg, der „Berg“ sind nur drei Straßenzüge. Mit einem richtig schlechten Ruf. Verschiedene Medien haben schon von einer von einem Balkon geworfenen Leiche gesprochen. Es gibt Berichte über Drogen, Nutten, Junkies und Kriminelle. Wie lebt es sich hier? Eine Momentaufnahme aus dem Frühjahr 2018.
Vom hippen Ehrenfeld ganz in den Kölner Süden. Die Fahrt zum Kölnberg dauert fast eine Stunde, über 30 Stationen, erst mit der Bahn, dann mit dem Bus. Zeit, die Menschen zu beobachten. Wo wollen sie hin, wie lange werden sie die Fahrt begleiten? Eine Kindergartengruppe steigt ein, Hektik, die Erzieherinnen zählen ihre Schützlinge. Sind es 22? Ja, Erleichterung. „Jetzt wäre es auch zu spät gewesen,“ meint eine Erzieherin. Die Kids sind müde, sie fahren noch weiter als ich, bis „Meschenich Kirche“. Im Vierer neben ihnen sitzen Leute, die gerade wohl vom Sprachkurs kommen, sie haben Lernbücher verschiedener Stufen bei sich. Was sie sagen? Keine Ahnung.
Draußen zieht Köln vorbei. Läden, Wohngebiete. Schöne Häuser und verlebte. Und auf einmal wird es grün, der Grüngürtel, die schönen Gegenden. Danach ein Kreisverkehr, eine Tankstelle, man fragt sich: Ist das überhaupt noch Köln? Oder schon irgendein Vorort? Vrooomm! Auf einmal gibt der Bus Gas: Freies Feld, keine Häuser, keine Bäume mehr. Und da ist er: Der Kölnberg. Erst ganz klein am Horizont, dann immer größer werdend.
Vor der Tür
Ich bin da: Der Kölnberg. Steige aus, gehe erstmal an einer Hecke entlang. Blick nach oben: Hochhaus. Weiter an der Hecke entlang, die den Komplex einzuschließen scheint, bis man eine Lücke zwischen ein paar Häusern sieht. Es ist alles grau in grau. Aber irgendwie gibt es schlimmeres. Das hier ist einfach nur ein großes hässliches Haus. In den Büschen liegt Müll. Wie überall in Köln. Keine Fixerspritzen, mit denen ich eigentlich gerechnet hatte. Links die Häuser, rechts Bäume und Sitzecken, die irgendwann wahrscheinlich ganz von Jugendlichen zerlegt werden. Es ist 13 Uhr, aber auf dem Platz zwischen den Häusern ist noch nichts los. An den Balkons rundherum hängen Fahrräder. Wahrscheinlich werden die sonst geklaut. Diskret an der äußeren Seite eines Hauses, hängt ein Spritzenautomat, steht irgendwas mit AIDS dran. Funktioniert aber nicht mehr. Auch hier liegen keine Spritzen auf dem Boden, anscheinend räumt irgendjemand auf. Der Automat hängt hinter einer Holzwand. Und als ich hinter dem Verschlag hervortrete, steht da dieser auffällig-unauffällige graue Ford Mondeo. Zwei Herren, beide mittleren Alters. Zivilpolizei?
Und nicht nur von denen fühle ich mich beobachtet. „Wo kommst du her?“ fragt der Kioskbesitzer und gibt mir einen Kaffee aus. Er hat gerade mit zwei Frauen in Jeans und Sweatshirts geredet, die auf einer kleinen Mauer schräg gegenüber seines Ladens sitzen. Eine von beiden hat ihre kleine Tochter dabei, die andere sitzt neben ihr, sie quatschen. Eva und Claudia (Namen von der Redaktion geändert) kennen sich hier gut aus. Claudia arbeitet jetzt 11 Jahre hier, Eva mit ihrem Kind wohnt schon 26 Jahre am Kölnberg. „Sie müssten mal nachts herkommen“, sagen sie. Dann wären schon Junkies oder Prostituierte da. Trotzdem haben die zwei hier keine Angst. Ganz normale Leute können hier anscheinend neben Kriminellen wohnen.
Hinter der Tür
In einem der Gebäude des Kölnbergs ist die Tafel, mit der Ausgabestelle „Aktion Brotkorb“ untergebracht. Am Eingang treffe ich direkt Dani, Edeltraut, Annegret und Sylke. Sie alle arbeiten hier. Heute gibt es Probleme mit der Lieferung, die Tafel soll gleich Lebensmittel bekommen, aber die Transporter kommen nicht, Annegret telefoniert ihnen nach. Heute wird es auch nur zwei Sprinter mit Waren geben. Als die endlich kommen müssen die Sachen schnell eingeräumt werden.
Schon den ganzen Tag stehen Leute vor dem Haus, sie warten darauf, dass die Ausgabestelle öffnet. Es gibt feste Zeiten, zu denen die Tafel hier Essen ausgibt. Die Kunden sind in fünf Gruppen eingeteilt, die zu unterschiedlichen Zeiten ihre Waren bekommen und immer rotieren. So sei niemand immer als Letzter dran. Es hat auch schonmal Stress gegeben, erfahre ich. Es gab zum Beispiel eine Frau, die mit mehreren Polizisten aus der Ausgabestelle befördert werden musste, weil sie herumgepöbelt hat, erzählt Helferin Dani.
Im Moment ist Ramadan, deshalb sind heute weniger Menschen zur Tafel gekommen, als sonst. Sylke setzt sich an den Eingang hinter der ersten braunen Stahltür. Leute kommen rein, müssen sich „ausweisen“. Dann können sie weiter. Auf den Bierzeltgarnituren sitzen schon drei alte Damen, sie durften früher rein. Die älteste Frau ist schon über 90. Es ist großes Gedränge, schnell ist es picke-packe voll. Stress für alle, jemand von der Tafel passt an der Tür auf, dass nicht zu viele herein kommen. Die Leute werden eingeteilt, je nachdem wie viele Personen zu ihrer Familie gehören, müssen sie sich rechts oder links hinsetzen.
Auf den Karteikarten stehen hier alle Grunddaten zu den verschiedenen Hilfsbedürftigen. Ganz wichtig: Die Postleitzahl, denn auch bei solchen Anlaufstellen gibt es eine Art Tourismus. Die Tafel in Meschenich ist nämlich nur für Leute aus Godorf, Immendorf, Meschenich und Rondorf zuständig. Auf den Karten stehen aber auch die Familienangehörigen mit Namen und die Anzahl der Personen, die zur Familie gehören. Die Ausgabestelle hat insgesamt gut 280 Menschen in der Kartei. Leute aus Deutschland, Irak, Kosovo und vielen anderen Ländern. Es sind etwa zu gleichen Teilen Männer und Frauen, alle zwischen 16 und 90 Jahre alt. Wenn sie einen Job bekommen und nicht mehr auf Hilfe angewiesen sind, würden sich manche Besucher auch regelrecht von ihr verabschieden, lächelt Sylke. Manche kommen aber nie aus dieser Schiene heraus.
Irgendwann gerät die Schlange ins Stocken. Es geht nicht weiter. Trotzdem Gedränge vor der Tür. Die Menschen quetschen sich rein und versuchen es trotzdem. Jetzt heißt es resolut bleiben. Bei Sylke müssen alle nacheinander ihre Kärtchen zeigen, aus der zweiten Reihe anreichen geht nicht. Alle warten. Die Kinder schauen sich um, die Leute reden. Keiner sieht arm aus. Eine Frau mit rosa Fingernägeln ist mit dem gleichen Bus gefahren wie ich. Und auf einmal wird es laut „Die beschwert sich wieder nur!“, meckert eine Frau über eine andere. Kurzes Gemecker, dann sind wieder alle friedlich und ich sehr erleichtert. Neben dem Eingang stehen kostenlose Lebensmittel, jeder kann sich etwas nehmen. Die Kiste ist leer, Sylke muss mehrmals eine neue hinstellen. Sobald es möglich ist grapschen die Leute schon in die Kiste „Kann ich das bitte mal erst abstellen?!“ ruft sie. Die Helferin muss sich durchsetzen. „Da kann man wirklich Sozialstudien anstellen, wie sich manche Leute benehmen“, meint Sylke. Warum der Kölnberg zu so einem Ghetto geworden ist, frage ich sie. „Verfehlte Wohnungspolitik“, meint sie. Die Wohnungen sind nicht schlecht, die Häuser wurden aber vernachlässigt, sind unübersichtlich und auch Kriminelle konnten hier unterkommen.
Der Kölnberg erklärt sich selbst
Die Tür zum Wartebereich wird zu gemacht, zu wenige Waren sind gekommen, aber es gibt auf jeden Fall Brot satt. Ich gehe jetzt nach hinten, die zweite Stahltür – die zur Essensausgabe – ist geschlossen. Michael ist auch von der Tafel. Er macht die Tür hin und wieder auf, sagt Sachen wie „Ein Klein“. Jetzt kann eine Person, die Essen für eine Familie bis vier Personen holen soll, eintreten. Familien bis vier Personen gehen nach links, ab fünf Personen gibt es die Lebensmittel rechts.
Der Ausgabebereich ist aufgeteilt in vier Bereiche: Links an der Stirnseite des Raumes ist eine Theke wie im Supermarkt, dahinter verschiedene Regale. Davor stehen Lebensmittel in Kisten. Rechts sind noch mehr davon, hier holen sich die Großfamilien Lebensmittel. Im dritten Bereich stehen Tassen, ein kleines Bügelbrett und zum Beispiel ein Plastikmülleimer. Das sind Sachen, die hier für kleines Geld gekauft werden können. Der Erlös wird dann in neue Lebensmittel investiert. Die Leute von der Tafel achten auch darauf, dass ihre Kunden die Lebensmittel wirklich verwenden können: Was soll zum Beispiel ein Obdachloser mit einem Blumenkohl?
Jetzt wo die Tür vorne zu ist kommen auch Leute vom Hauseingang an der Seite. Sie wollen sich Lebensmittel holen und fragen, warum die Tür geschlossen ist. Michael und die anderen müssen erklären, dass weniger Autos gekommen sind als sonst. Das ist gar nicht so einfach, denn die Menschen können teilweise nur wenig deutsch. Das merke ich, als ich Kunden nach dem Leben im Ghetto fragen will. „Wir kriegen das hin,“ lächelt Michael. Jetzt sitzen nur noch wenige Leute vor der Tür. Um 18 Uhr schließt die Tafel, noch eine halbe Stunde. Morgen wird die Tafel noch mal kurz öffnen, um die Reste auch zu verteilen.
Ich fahre los, wieder nach Ehrenfeld. Vor der Tür der Tafel Polizeikontrolle. In dem gleichen Gebäudekomplex ist die örtliche Polizeistation. Zwei Streifenwagen standen erst auf der Straße, später sind noch zwei andere Autos hinzugekommen, irgendwas lief während meines Tafel-Besuchs.
Einer der Cops kontrolliert einen Corvette-Fahrer, davor wartet ein ebenfalls sehr unauffälliger Audi A7 mit roten Felgen, ein bisschen Klischee habe ich doch noch gefunden. Denn eigentlich hätte ich mit viel mehr solchen Szenen gerechnet. Der Kölnberg ist ganz bestimmt kein schönes Wohnviertel. Aber was ich hier gesehen und erlebt habe ist viel weniger unheimlich, als erwartet.
Text: Marlene Volkmann
Sehr coole Eindrücke! Gerne mehr vom „untypischen“ Köln!
Dann ziehen sie doch hin wenn es nicht so unheimlich ist.
Nur weil man einmal da war und es keinen sek-Einsatz gab heisst es nicht dass es toll ist dort zu leben.
Dein Artikel war sehr bildhaft geschrieben und man konnte sich direkt in die Szenerie einfinden. Gerade durch deine Bilder wurde ein weitreichender Einblick vom Kölnberg gewährleistet. Außerdem war es interessant, dass du den Weg zum Kölnberg beschrieben hast und in dem Zusammenhang deine Gefühlslage.
Trotzdem war der Artikel allgemein zu lang und teilweise sehr abschweifend. Du hattest keinen roten Faden, denn zu Beginn berichtest du vom Kölnberg, dann vom Kiosk und im Anschluss von der Tafel ohne konkrete Überleitungen. Außerdem haben mir am Anfang weitere Informationen zum Kölnberg gefehlt – du hättest anbringen können, dass dort zum Großteil Ausländer wohnen, mehr auf die Kriminalität eingehen und weitere Rahmeninformationen nennen. Darüber hinaus waren die Übergänge zwischen den Absätzen sprunghaft und man war als Leser etwas verloren.
Insgesamt waren die Absätze und Zwischenüberschriften passend gewählt und auch der Einsatz deiner Bilder war genau richtig.
Liebe Grüße
Peter Pan